40 Jahre rechter Terror – 40 Jahre Verdrängung, Verleugnung und Wegsehen.

Anlässlich des 40. Jahrestags des Oktoberfestattentats am 26.9.1980 in München organisierte die Initiative „Mehr als 40 Jahre“ eine antifaschistische Demonstration. Hier ist unser Redebeitrag, der in einer kürzeren Variante auf der Demo gehalten wurde:

Rechter Terror sowie seine Verharmlosung und Entpolitisierung sind seit mehr als 40 Jahren Teil der Münchner Stadtgeschichte. 

Wir sind heute hier, um an die Opfer dieser Gewalt zu erinnern und uns mit ihnen zu solidarisieren, denn allzu oft steht noch immer die einseitige Auseinandersetzung mit den Täter*innen im Fokus. Worüber berichtet und geredet wird, sind die vermeintlichen Motive der Täter*innen, die nicht selten für psychisch krank erklärt werden. So werden ihre Taten entpolitisiert, an den gesellschaftlichen Rand gedrängt und einer Auseinandersetzung aus dem Weg gegangen. 

  • Das war so bei Gundolf Köhler. Die Ermittlungsbehörden ignorierten seine Mitgliedschaft in der neonazistischen Wehrsportgruppe Hoffmann. Er, der vermeintliche Einzeltäter, habe sich in einer persönlichen Krise befunden. 
  • Das war so bei den mindestens zehn Morden des Nationalsozialistischen Untergrunds, von denen zwei hier in München verübt wurden, deren rechter Charakter erst 10 Jahre später durch die Selbstenttarnung des NSU von Behörden erkannt wurde. Habil Kılıç und Theodoros Boulgarides wurden Opfer dieses Rechtsterrors hier in München. von Rechtsterror, doch dauerte es mehr als zehn Jahre, bis zur Selbstenttarnung des NSU, dass der rechte Charakter der Morde auch bei den Behörden erkannt wurde. Sie ermittelten gegen die Angehörigen, statt ihnen zuzuhören, ihnen zu glauben und den Hinweisen auf Rechtsterrorismus nachzugehen.  
  • Das war so beim rechten Terror vom 22. Juli 2016 als David Sonboly neun Menschen am Münchner Olympia Einkaufszentrum und anschließend sich selbst erschoss. Er wählte die Opfer nach rassistischen Motiven aus, verehrte Hitler und die Alternative für Deutschland. Bis heute tun sich die Behörden schwer, die Tat als rechten Terror einzustufen.
  • Und das war so beim Anschlag auf den Club Liverpool in der Schillerstraße im Münchner Bahnhofsviertel, auf den wir in unserem Redebeitrag heute näher eingehen möchten. 

Am Abend des 7. Januar 1984, nur vier Jahre nach dem Oktoberfestattentat, werfen zwei Männer je einen Benzinkanister in den Eingangsbereich des Clubs Liverpool. Die Kanister explodieren, kurz darauf steht das Kellerlokal in Flammen. Unter den 25 Gästen und Angestellten bricht Panik aus, einige können sich durch eine Tür im hinteren Teil des Liverpools retten. Am Ende sind sieben Menschen verletzt, eine davon ist Corinna Tartarotti, die in der Bar gearbeitet hatte. Sie rettete sich durch das Feuer ins Freie und zog sich dabei so schwere Verletzungen zu, dass sie ihnen drei Monate nach dem Anschlag, am 27. April 1984 erliegt. 

Verübt hatte den Anschlag die neonazistische, christlich-fundamentalistische Gruppe Ludwig bestehend aus Wolfgang Abel und Marco Furlan. 

Wir thematisieren diesen Anschlag immer wieder, da in München und insbesondere am Tatort in der Schillerstraße nichts an den Anschlag erinnert. Er wäre wohl auch ganz in Vergessenheit geraten, hätte nicht der Münchner Journalist Robert Andreasch, zum Anschlag auf das „Liverpool“ recherchiert und ihn als rechten Anschlag identifiziert. Erst diese Arbeit rückte den Fall überhaupt wieder ins öffentliche Interesse. Seither erinnern in erster Linie antifaschistische Initiativen an den Anschlag und die Opfer, die er forderte. 

Diese Art der Erinnerung steht dem entgegen, was In der sonstigen öffentlichen Auseinandersetzung stand und steht: die Perspektive und Geschichte der Täter im Zentrum. In der Berichterstattung rund um den Anschlag ist augenfällig, wie detailliert Journalist*innen die Biographien und möglichen Motive der beiden Täter beschreiben. In „untadeligen“ familiären Verhältnissen seien sie aufgewachsen, wir erfahren wann und wo sie sich kennenlernten und wie der eine ein schmächtiger, talentierter Gitarrenspieler, der andere ein rationaler und sportiver Praktiker sei. 

Derweil ist über die Opfer oft nicht mehr bekannt als ihr Name beziehungsweise wo und wie sie ermordet wurden. Von Corinna Tartarotti wissen wir, dass sie die Tochter eines ZDF-Journalisten war und familiäre Wurzeln in Südtirol hat, ihr Halbbruder lebt noch, kann aber zur Sache nichts mehr sagen. Bekannt ist auch, dass rund 25 Personen am Tag des Anschlags im Club waren, um sich einen Film anzusehen. Sieben davon wurden bei dem Angriff verletzt. Wer diese Menschen sind, ihre Perspektive auf den Fall, was sie dazu zu sagen hätten, ob sie die Hilfe bekommen haben, die sie gebraucht hätten oder immer noch brauchen … all das ist uns derzeit leider nicht bekannt.  

Es gibt mehrere Aspekte, die sich wie ein roter Faden durch die 40 Jahre rechten Terrors ziehen. 

Eine davon ist die miserable und von Rassismus, Antisemitismus und Antifeminismus geprägte Arbeit der Ermittlungsbehörden. In den Tagen nach dem Anschlag auf das Liverpool laufen die polizeilichen Ermittlungen zunächst nur in eine Richtung: ins – so genannte – Zuhältermilieu. 

Eine weitere Kontinuität ist die Pathologisierung der Täter. Kurzerhand erklärt man sie für psychisch krank. Nachdem ein Bekennerschreiben der Gruppe Ludwig auftaucht, wird in allzu bekannter Manier von der extrem rechten und antifeministischen Ideologie abgelenkt. Abel und Furlan hätten in einer „Adoleszenzkrise“ gesteckt, sie seien „todeswütige Exorzisten“ und „psychopathische Neonazis“. 

Das Nichterkennen, die Verharmlosung und Pathologisierung von rechtem Terror und den Täter*innen ist neben dem Terror selbst eine Gefahr. Verhindert es doch, dass diese Gewaltverbrechen richtig eingeordnet und aufgearbeitet werden können. Um rechten Terror jedoch wirksam zu bekämpfen, müssen solche Fälle aufgearbeitet werden. Demonstrationen wie diese heute sollen Anstoß dazu geben, sich mit diesem Fall und womöglich vielen anderen noch unerkannten rechten Anschlägen zu befassen – und zwar aus der Perspektive der Betroffenen. Wir müssen jenen zuhören, denen Leid angetan wurde und wird. Denn nur wenn die Konsequenzen rechter Anschläge sichtbar gemacht werden, können die Anschläge verringert werden. 

Verdrängung, Verleugnung und Wegsehen sind keine Lösung, darum stehen wir heute hier.

Als queer_feministisches Kollektiv trennen wir rechten Terror nicht von antifeministischen Ideologien. Vielmehr sind Antifeminismus und die Befürwortung von Gewalt zwei von mehreren Bestandteilen eines extrem rechten Weltbildes und viele Fälle von rechter, rassistischer, antisemitischer und antilinker Gewalt haben eine Genderkomponente. 

Antifeminismus als fester Bestandteil eines extrem rechten Weltbildes zeigt sich auch bei aktuellen Beispielen rechten Terrors wie dem antisemitischen Anschlag in Halle oder dem rassistischen Anschlag von Hanau. So machte der Terrorist von Halle „den Feminismus“ für sinkende Geburtenraten im Westen verantwortlich. Diese führten ihm zufolge zu einer vermeintlichen Massenmigration. Hinter all dem stünden Jüdinnen und Juden. Antifeminismus als verbindendes Element rechten Terrors und das Zusammenspiel von Antisemitismus, Rassismus und Frauenhass werden auch hier wieder deutlich. Deswegen muss Antifeminismus als konstanter Bestandteil rechten Terrors in die Ursachenfindung und Aufarbeitung dessen mit einbezogen werden.

Diesen extrem rechten, antifeministischen Ideologien liegt meist eine zerstörerische Vorstellung von Männlichkeit zugrunde, bei der alles vermeintlich Schwache verachtet und weiblich Konnotiertes abgelehnt wird. Furlan und Abel härteten sich ab, formten eine männerbündlerische Kameradschaft und imaginierten eine idealisierte Männlichkeit in deren Kern die Bereitschaft und Fähigkeit zur Gewaltausübung steht. 

Die daraus entstehende Gewalt richtet sich gegen Frauen, LGBTIQ*, Homosexuelle, Obdachlose oder Drogenabhängige. 

Und diese Ideologien sind bis weit in die bürgerliche Mitte anschlussfähig. Sexarbeiter*innen, Queers, Drogenabhängige, Homosexuelle sind keine Gruppen, mit denen sich die Bürger*innen dieses Landes ohne weiteres solidarisieren – und genau darum ist es an uns, die Erinnerung an die Opfer der Gruppe Ludwig aufrechtzuerhalten. 

Foto: Robert Andreasch

Es darf kein „Weiter so“ geben. Die vergangenen 40 Jahre zeigen, dass wir als Antifaschist*innen, als Antirassist*innen, als Feminist*innen ganz genau hinschauen müssen. Denn große Teile der Gesellschaft werden es im Zweifel nicht tun. Genauso wenig wie die Sicherheitsbehörden – ganz im Gegenteil, letztere sind oftmals selbst Täter*innen oder mindestens Mittäter*innen, wie sich aktuell wieder einmal zeigt. 

Es ist an uns rassistische, antifeministische und antisemitische Gewalt als solche zu benennen und sichtbar zu machen. Und es ist an uns, Solidarität zu zeigen mit Betroffenen rechter Gewalt. Lasst uns wo immer möglich versuchen, ihnen eine Stimme zu geben, ihre Geschichten zählen, nicht die der Täter*innen. 

  • Wir fordern ein respektvolles Gedenken aus Opferperspektive und zeigen Solidarität mit allen von Rassismus, Antifeminismus und Antisemitismus betroffenen Menschen, 
  • Wir fordern die lückenlose Aufklärung und Aufarbeitung aktueller und vergangener rechter Terroranschläge,
  • Wir fordern ein Ende der Pathologisierung und Entpolitisierung rechter Gewalt und 
  • wir fordern, dass Antifeminismus in all seinen Facetten ernst genommen und auf allen Ebenen bekämpft wird.

Wir gedenken

  • Wir gedenken Guerrino Spinelli, einem 33-jährigen Sinto, der am 25. August 1977 in Verona in seinem Auto schlafend mit Brandsätzen angegriffen wurde und eine Woche später seinen schweren Verletzungen erlag.
  • Wir gedenken Luciano Stefanato, einem homosexuellen Kellner, der am 19. Dezember 1978 in Padua mit Messerstichen getötet wurde. 
  • Wir gedenken Claudio Costa, einem 22-jährigen Homosexuellen, der am 12. Dezember 1979 erstochen in Venedig aufgefunden wurde. 
  • Wir gedenken der 51-jährigen Sexarbeiterin Alice Maria Beretta, die am 20. Dezember 1980 erschlagen wurde. 
  • Wir gedenken dem Studenten Luca Martinotti, der am 24. Mai 1981 einem Brandanschlag in Verona zum Opfer fiel. 
  • Wir gedenken der beiden Mönche Mario Lovato und Giovanni Pigato, die am 20. Juli 1982 in Vicenza erschlagen wurden. Mario Lovato wurde 71, Giovanni Pigato 69 Jahre alt. 
  • Wir gedenken dem 71-jährigen Priester Armando Bison, der am 20. Februar 1983 in Trient erschlagen wurde. 
  • Wir gedenken Giorgio Fronza, Ernesto Mauri, Pasquale Esposito, Elio Molteni und Domenico La Sala, die alle am 14. Mai 1983 bei einem Brandanschlag auf das Kino „Eros“ in Mailand ermordet wurden und 
  • Wir gedenken dem 46-jährigen Arzt Livio Ceresoli, der den im Kino eingeschlossenen Menschen zur Hilfe kommen wollte und selbst zum Opfer wurde. 
  • Und wir gedenken Corinna Tartarotti, die im ehemaligen Club Liverpool so schwere Verletzungen erlitt, dass sie drei Monate später, am 27. April 1984, hier in München starb. Sie wurde 20 Jahre alt.