Münchner Stadtratsbeschluss zeigt: Proteste christlicher Fundis gefährden Versorgungssituation bei Abtreibungen

Fundis und ihre Schilder beim monatlichen „Gebetsvigil“ in München.

Seit vielen Jahren terrorisieren Münchner Abtreibungsgegner*innen verschiedenster Couleur Kliniken, Beratungsstellen und ungewollt Schwangere. Neben Kundgebungen, Fake-Beratung oder Aufmärschen, stehen sie bei so genannten Gebetsvigilien“ und Mahnwachen regelmäßig direkt an jenen Orten, an denen Menschen Hilfe und Unterstützung suchen.

Die Folge: Es gibt immer weniger Ärzt*innen, die Abtreibungen durchführen. Die Zahl der Kliniken und Praxen, die theoretisch Schwangerschaftsabbrüche anbieten und dieses bei den Behörden meldeten, sank von 2.050 im Jahre 2003 auf 1.128 Stellen im ersten Quartal 2020. Das ist ein Rückgang um fast 45 Prozent! Bayern steht bei der pro Kopf Versorgung besonders schlecht da, so gibt es in Berlin 137 (1:27.000) im viel größeren Bayern lediglich 92 Stellen (1:142.000) [1].

Auf lokaler Ebene werden keine Zahlen erhoben, ein kürzlich im Münchner Stadtrat diskutierter und beschlossener Antrag [2 & 3] offenbart aber, dass die Versorgungslage bei Schwangerschaftsabbrüchen auch in München schlechter wird und veranschaulicht, welche Rolle radikale Abtreibungsgegner*innen dabei spielen.

Der Beschluss vom 12. November 2020 hat eine längere Geschichte. Bereits 2018 brachten die Grünen gemeinsam mit der Rosa Liste einen Antrag in den Münchner Stadtrat ein, um dem „drohenden Versorgungsengpass bei der Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen entgegenzusteuern“. Im Oktober 2019 führte das Referat für Gesundheit und Umwelt (RGU) eine erste Befragung durch, im Februar 2020 folgte eine zweite. Außerdem führte das RGU Gespräche mit Vertreter*innen einer Münchner Beratungsstelle und mehreren Münchner Kliniken. Ziel war es herauszufinden, wie es um die Versorgungslage in München bestimmt ist. Wir haben uns die Anträge und Unterlagen dazu durchgesehen und nunja …We’re not amused!

Ungewisse Zukunft

Aktuell sind in München 39 Ärzt*innen gemeldet, welche die Erlaubnis haben Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen. Wichtig ist hier anzumerken, dass „die Erlaubnis haben“ nicht bedeutet, dass sie auch Abbrüche durchführen. Dennoch kommen viele zum Ergebnis, dass die Versorgungslage bei Schwangerschaftsabbrüchen in München derzeit nicht akut bedroht sei. „Derzeit“ ist ein ziemlich schwammiger Begriff und tatsächlich verheißt der Blick in die Zukunft nichts Gutes.

Diese Einschätzung unsererseits basiert auf drei Punkten. Da ist zunächst die Altersstruktur der Ärzt*innen. 27 der insgesamt 39 Befragten geben an, über 60 Jahre (fünf davon über 70 Jahre) alt zu sein. Mehr als die Hälfte von ihnen geben an, voraussichtlich nur noch weniger als zehn Jahre zu praktizieren.

Daraus folgt Problem Nummer zwei, denn problematisch gestaltet sich laut den Befragten auch die Suche nach Nachfolger*innen. Ausschlaggebend dafür sei auch, dass in München nur einige Kliniken in die Versorgung mit Schwangerschaftsabbrüchen eingebunden sind. Es gibt in diesen Kliniken keine Verpflichtung zum Schwangerschaftsabbruch, gleichzeitig sind die Kliniken jedoch der Ort der gynäkologischen Fachärzt*innenausbildung. Von daher kann ein Abbruch von Schwangerschaften nur in einigen Kliniken gelernt werden und gehört auch nicht zum Curriculum der Fachärzt*innenausbildung. Darüber hinaus erschweren nach Aussagen der befragten Ärzt*innen die Diffamierungen und Demonstrationen radikaler Abtreibungsgegner*innen die Suche nach Nachfolger*innen, welche die Leerstellen besetzen könnten.

Die dritte Herausforderung ist die bedrohte Infrastruktur. Derzeit verfügen 33 der Ärzt*innen über eigene Praxisräume. Fünf öffentliche Kliniken nehmen Abbrüche vor, zwei davon jedoch nur bei medizinischer Indikation. Wie schnell der Verlust von Räumlichkeiten sich auf die Versorgungslage auswirken kann, zeigt die Befragung aus dem Frühjahr 2020. Eine*r der befragten Ärzt*innen die*der zwischen 300 und 599 Abbrüche durchführt, gibt in dieser an, dass sie*er keine Aussagen zum künftigen Beitrag zur Versorgung treffen kann, da ihr*ihm die Räumlichkeiten gekündigt wurden. Laut Umfrage ist einer der Hauptgründe für die Schwierigkeit Räume zu finden, dass jene Kliniken, die Räume für Schwangerschaftsabbrüche zur Verfügung stellen, oft Probleme mit fundamentalistischen Gruppierungen bekämen.

Keine „Spießrutenläufe“ oder „drastische Kundgebungsmittel“

In einer Stellungnahme, um die das Kreisverwaltungsreferat im Zuge des Prozesses gebeten wurde, feiert sich die Behörde selbst – wir verstehen nicht wofür. Denn sowohl Ärzt*innen als auch Beratungsstellen geben an, dass sie Probleme mit den Gruppierungen haben, die vor den Einrichtungen demonstrieren, Patient*innen ansprechen und „beraten“ wollen bzw. sie im Internet diffamieren.

Fundis mit Rosenkranz und Regenschirm vor gynäkologischen Kliniken.

Das KVR spricht derweil von „erfolgreicher Kooperation mit den Veranstaltern“, dass es nicht zu „Spießrutenläufen“ käme und keine „drastischen Kundgebungsmittel“ zum Einsatz kämen. Zudem nähmen ja nicht viele Fundis an den Veranstaltungen teil und das liefe ja auch alles eher still ab.

Diese Aussagen werfen bei uns einige Fragen auf, vor allem, weil sie in ihrer Stellungnahme angeben, „die Versammlungen weiterhin genau zu beobachten“. Hätten sie das getan, wäre ihnen aufgefallen, dass an den monatlich stattfindenden Gebetsmärschen der „Helfer für Gottes kostbare Kinder“ mindestens zehn, in der Spitze sogar knapp 30 Personen direkt vor der Beratungsstelle von Pro Familia, dem Medicare Gesundheitszentrum beziehungsweise gynäkologischen Kliniken in der Nymphenburger Straße stehen. Sie hätten gehört, dass es sich keineswegs um „stille“ Veranstaltungen handelt. Gebetet wird via Lautsprecher, gesungen wird lauthals. Und eine der ach so heroisch unterbundenen Spießrutenläufe beobachteten wir erst diesen Sommer bei einer Mahnwache der Initiative von 40 Tage für das Leben“ in Freiham. Ein Betroffener bat eine der drei (ja es waren an diesem Tag tatsächlich nur drei) Fundamentalistinnen wenigstens dann das Schild mit der Aufschrift „Sag Ja zum Leben“ herunterzunehmen, wenn seine Partnerin aus der Klinik kommt. Dieser Wunsch wurde ihm nicht erfüllt! Und auch die bei radikalen Abtreibungsgegner*innen sehr beliebten Plastikpuppen, die Embryos darstellen sollen, kommen weiterhin zum Einsatz. Zuletzt bei einer Kundgebung, die ausgerechnet am „International Safe Abortion Day“ vom neu gegründeten Verein „Stimme der Stillen“ organisiert wurde. So viel zu „keine drastischen Kundgebungsmittel“.

„DANKE Mama, dass ich leben darf!“

An Widerwärtigkeit kaum zu überbieten ist die Aussage des KVR, dass „Gehsteigberatungen“ vor der Abtreibungsklinik nicht über eine höfliche, sensible Ansprache hinausgingen und die Frauen somit nicht übermäßig belästigt würden. Erkenntnisse, ob der normale Betrieb in der Praxis durch die „Gehsteigberatung“ behindert wird, lägen nicht vor. Bei dieser Methode positionieren sich radikale Abtreibungsgegner*innen vor Kliniken und Beratungsstellen, fangen Menschen ab und terrorisieren sie wie Wolfgang Hering von „Euro Pro Life“ in diesem Video von BuzzFeed (Facebook-Link) eindrücklich vormacht mit Plastikembryos und Aussagen wie „ihr Kind muss nicht sterben“. Trotz all dem kommt das KVR zu der Einschätzung, dass weitere Einschränkungen derzeit rechtlich nicht durchsetzbar seien und dass es keine Rechtsgrundlage gäbe, um gegen die „Gehsteigberatungen“ vorzugehen.

Fundis das Leben vermiesen … der Hessische Erlass

Die gibt es jedoch. Wahrscheinlicher ist also, dass das Kreisverwaltungsreferat wenig Interesse daran hat, die Situation für ungewollt Schwangere in München und Bayern zu verbessern.

Bereits im August 2019 regelte das hessische Innenministerium per Erlass, dass radikale Abtreibungsgegner*innen ungewollt Schwangere nicht mehr belästigen dürfen, wenn sie zu Beratungsstellen oder in eine gynäkologische Praxis bzw. Klinik gehen. Demonstrationen und Mahnwachen sollen, so der Erlass, nur dort erlaubt werden, wo kein Sicht- oder Rufkontakt mit der Beratungsstelle bestehe. Das sei zwar ein Eingriff in das Versammlungsrecht, der sei aber „in der Regel zulässig, wenn nicht sogar geboten“, um das Persönlichkeitsrecht betroffener Menschen zu schützen, die eine Beratung suchen. Der Blick über den Weißwurstäquator lohnt sich also.

Wir bleiben dabei … My Body My Choice!

Gegner*innen der reproduktiven und sexuellen Selbstbestimmung rekrutieren sich aus konservativen bis extrem rechten Kreisen unserer Gesellschaft. Diesen antifeministischen Akteur*innen und Gruppen ist die Vorstellung, dass Menschen selbst über ihre Körper, ihre Gesundheit und Wohlbefinden entscheiden, ein Graus. Die einen argumentieren dabei völkisch-nationalistisch, die nächsten  biologistisch und wieder andere mit ihrem Glauben. Menschenverachtend sind sie dabei alle. Die einen zeigen diese Verachtung auf der Straße, wieder andere in Parlamenten und Stadträten. Und so überrascht es nicht, dass der Antrag im Münchner Stadtrat gegen die Stimmen der CSU-Fraktion verabschiedet wurde.

Es soll nun einen Runden Tisch geben, der Freistaat soll einen Brief bekommen und das Referat für Gesundheit und Umwelt soll in Zusammenarbeit mit dem Kreisverwaltungsreferat berichten, wie sie Ärzt*innen besser schützen können.

Doch egal was sie auch beschließen mögen … unsere Minimalforderung bleibt: Streicht die Paragrafen 218 und 219a aus dem Strafgesetzbuch. Legalisiert Abtreibungen! Denn dieses Schneckentempo, dass hierzulande in Stadträten und Parlamenten an den Tag gelegt wird, kostet im schlimmsten Fall Menschenleben. 

Darum kämpfen wir. Egal wie lange es dauert. My Body My Choice! 


Quellen:

[1] ZDF-Artikel: Weniger Praxen bieten Schwangerschaftsabbrüche an. Zuletzt abgerufen am 22.11.2020 um 19:35 Uhr.

[2] Beschluss zum Antrag „Drohendem Versorgungsengpass bei der Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen entgegensteuern“ vom 12.11.2020. Zuletzt abgerufen am 22.11.2020 um 19:41 Uhr. 

[3] Alle Dokumente rund um den Antrag inklusive Stellungnahmen, Änderungen im Antrag, etc. Zuletzt abgerufen am 22.11.2020 um 19:42 Uhr. 

Danke an Lina Dahm für die Bilder!