In der Pick-Up-Szene scheint sich alles um Frauen zu drehen. Mann muss sich aufraffen, um genügend Frauen anzusprechen, ihre Nummer zu bekommen oder mit ihnen Sex zu haben. Wie groß ist der aktuelle Harem? Wie viel Lust hat eine Frau auf Flirten? Mit wie vielen Frauen hatte man schon Sex? Wie hot oder hässlich sind Frauen? Frauen Frauen Frauen… doch bei genauerem Hinsehen, ist die Rolle von weiblich gelesenen Personen auf die des ‚passiven Spielballs‘ oder des ‚schmeichelnden Spiegels‘ reduziert. Was wir damit meinen, darum geht es im folgenden Kapitel zum Frauenbild der Pick-Up-Szene.
Die Frau als Spielball im ‚Game‘ der Pick-Up-Arschis
Ruhm und Ehre können sog. Pick-Up-Artists (PUAs) in der Szene nur erreichen, wenn sie Frauen als Trophäen behandeln und ins Bett bekommen. Handlungsmacht und Subjektstatus von Frauen sind dabei nur Störfaktoren, die einen daran hindern, zum gewünschten Ziel zu kommen.
Die Pick-Up-Ideologie beruht auf einem eindimensionalen, biologistisch argumentierenden Frauenbild. Ihren Objekten der Begierde“ unterstellt die Szene einen natürlich anmutenden Wunsch nach Reproduktion sowie eine grundsätzliche Freude am vermeintlich „erotischen Spiel“ (1). Denn Frauen sind in der PUA-Denke eh alle ‚Flittchen‘, Mann muss ihnen nur das Gefühl geben es wäre ok, dann klappt es auch mit dem Sex. Die Geschlechterwissenschaftlerin Franziska Schutzbach formuliert diesbezüglich treffend:
„Die PUAs vertreten ein aggressives und Hierarchie verherrlichendes Männerbild, das eng verknüpft ist mit einer objektivierenden und abwertenden Perspektive auf Frauen – nicht wenige PUAs legitimieren Gewalt (2).
Während sich die PUAs selbst als ‚Hauptgewinn‘ darstellen, werden Frauen zu ‚Schachfiguren‘ in ihrem ‚Game‘ degradiert. Sie werden lediglich als ‚schmeichelnder Spiegel‘ benötigt, um im Bezug auf andere Männer zu punkten. Das weiblich gelesene Gegenüber ist nach dieser Logik „austauschbar […] und als Subjekt zweitrangig“ (3). Anders formuliert: In der Vorstellung von PUAs „existieren [Frauen], um die Überlegenheit der Männer zu bestätigen, sie sind die Folie, vor der sich Alphamännlichkeit generiert“ (4) (s. Kap. Männlichkeit). Diese Grundauffassung bewahrt PUAs vor unerwünschten und aus ihrer Sicht hinderlichen emotionalen Verstrickungen oder Abhängigkeitsbeziehungen. Da Emotionalität dem eigenen ‚Spielerfolg‘ im Wege stehen würde, werden Frauen lediglich als das ‚Mittel zum Zweck‘ betrachtet – dem Spielball im PUA-‚Game‘.
Die Bewertungsskala: Von Hot Babes zu monsterähnlichen Mutantinnen
Um Erfolg im ‚Game‘ (s. Kap. Sprache) zu haben steht die permanente Be- und Abwertung von weiblich gelesenen Personen bei PUAs auf der Tagesordnung. Die von Pick-Up-Artists betriebene Objektivierung der weiblich gelesenen Personen geht so weit, dass ihr Aussehen bzw. ihre ‚Qualität‘ oder ihr ‚Wert‘ auf einer Skala von eins bis zehn bewertet wird. Während die eins in Deutschlands größtem Onlineforum für PUAs (dem „Pickup-Forum“) von einem User namens „RA“ „als eine „monsterähnliche Mutantin“ beschrieben wird, steht die zehn für ein so unerreichbares Ideal, „dass sie gar nicht existieren kann, zumindest nicht in dieser Welt“. Die erfolgreiche ‚Eroberung‘ einer Frau, die in den Augen des PUAs als eine acht oder neun gelesen wird (ab da ist von einem ‚Hot Babe‘ die Rede), ist in der Szene mit weitaus mehr Anerkennung verknüpft. Diese absolut oberflächliche, sexistische und frauenverachtende Wertzuschreibung der PUAs hat es leider über Filme und Popsongs hinaus bis in die Alltagssprache geschafft. Egal ob in der Szene oder außerhalb: die oberflächliche Bewertung von Körpern auf Skalen von null bis zehn ist ein absolutes NO GO!
Männliche Opfer vor dem erotischen Kapital der Frau
Als wäre das Behandeln von Frauen als Objekte und Mittel zum Zweck nicht schon genug, verdreht die PUA-Szene die Hierarchieverhältnisse von Geschlechtern. Das starre Weltbild der PUAs negiert jegliche Formen von struktureller Unterdrückung oder Benachteiligung von Frauen. Trotz aller wissenschaftlichen Studien und Statistiken wird weiblich gelesenen Personen unterstellt, sie hätten in diesem ‚Spiel‘ (das definitiv keines ist) sogar einen ‚natürlichen Vorsprung‘ (sprich: erotisches Kapital), den sich PUAs erst ‚hart‘ erarbeiten müssen. (5) So heißt es bspw. in einem Beitrag von „Andree“, einem User im Onlineforum am 30.09.2015:
„Wie kann es sein, dass es für Frauen so viel einfacher ist mit ihrer Sexualität zufrieden zu sein als für Männer? Männer müssen sich den Arsch mit PU aufreißen und privilegieren Frauen im sozialen, weil ihnen die Chance auf Sex vorschwebt. Dadurch entsteht soziales Ungleichgewicht“
Es ist dem User ein Leichtes, die Ursache des „so viele Männer quälenden“ Problems zu identifizieren:
„Das Problem ist ein frisches“, meint er, „da in der alten patriarchalischen Gesellschaft das Ungleichgewicht dadurch ausgeglichen wurde, dass Männer einfach generell mehr als Frauen galten, in allen Bereichen. Ausgleich dieser Art ist in der feministischen Gesellschaft nicht mehr möglich“.
Deshalb sei es nach PUA-Logik nur fair, sich selbst „ein paar Asse in den Ärmel zu stecken“ und jenen Vorsprung durch manipulative Techniken mehr oder weniger „auszugleichen“. Durch diese verdrehte Machtanalyse des ‚erotischen Kapitals‘ von Frauen, welches ihnen angebliche Vorteile gegenüber Männern im ‚Spiel‘ bietet, rechtfertigt die Pick-Up-Szene psychische und physische Gewalt gegenüber weiblich gelesen Personen. Die Realität zeigt: für weiblich gelesene Personen ist das alles ganz und gar kein ‚Spiel‘ und auch kein Flirten, sondern bitterer Ernst und kann eine ernsthafte Bedrohung ihrer körperlichen und geistigen Unversehrtheit darstellen.
Warum das Frauenbild der Pick-Up-Szene zu einer gefährlichen Normalisierung sexualisierter Gewalt beiträgt
Mit den oben genannten „Assen im Ärmel“ sind die Aufreißer-Methoden (s. Kap. gewaltvolle Flirts) der PUAs gemeint, diese lassen kein „Nein“ zu. In dem Weltbild der Pick-Up-Artists geht es vielmehr darum, Frauen zu zeigen, was sie wollen sollen. Und sind sie nicht willig, dann braucht es eben ein bisschen Manipulation.
Die Fähigkeit zu wissen, was sie wollen, wird Frauen von PUAs systematisch abgesprochen. Vielmehr werden sie als irrationale Wesen und Repräsentantinnen der Natur gesehen; sie sind „ohne eigene Vorstellung“, „von Gefühlen bestimmt und existieren nur bezogen auf Männer.6 Ein „Nein“ wird von PUAs in der Regel umgedeutet (à la ausgeklügelte Methode der Frau zur Begehrenssteigerung beim Mann) und somit geflissentlich übergangen.
Es sei ganz normal, dass Frauen erst einmal „Nein“ sagen, sie möchten eben nicht als ‚Schlampe‘ gelten. Durch manipulative Techniken soll das Gegenüber schließlich dazu gebracht werden etwas zu tun, das es nicht möchte. Eine Frau trotz eines zuvor geäußerten „Neins“ herum zu bekommen – genau darin liegt den Pick-Up-Arschis zufolge die ‚Kunst‘. Wir sagen: Das ist keine Kunst, das ist Gewalt!
Dass diese Haltung auch in der PUA-Szene angekommen ist, zeigt folgender am 9. Juni 2016 im Onlineforum für PUAs veröffentlichte Beitrag von einem User namens „Theroffl“:
„Der geneigte Zeitungsleser hat vielleicht mitbekommen, dass das Sexualstrafrecht reformiert wird. Ab jetzt ist es als eine Vergewaltigung anzusehen, wenn man gegen den ‚erkennbaren Willen der Person sexuelle Handlungen vornimmt‘. Bis jetzt war dies nur durch Gewalt, Drohung oder Ausnutzung der Hilflosigkeit/Lage der Person gegeben. Schlichtweg ab jetzt: Nein ist nein. ‚Eskalieren bis zum physischen Block‘, ‚mit dem Nein will sie dich nur testen, probier weiter‘ etc. wäre damit strafbar und im Zweifel die Dame ist euch doch nicht so positiv gesinnt, nicht unter einem Jahr zu ahnden. Wie werdet ihr das handhaben? Wie findet ihr die Reformierung?“
Das, was der Anhänger der PUA-Community als „Eskalieren bis zum physischen Block“ bezeichnet, ist das körperliche zur Wehr setzen von Frauen gegenüber sexualisierter Gewalt. ‚Eskalieren‘ bedeutet einen Schritt im sog. ‚Game‘ weiter zu gehen – z. B. die Frau, mit der man gerade noch geredet hat, wie zufällig an bestimmten Körperstellen ungefragt zu berühren; oder man fängt einfach an, drauf los zu küssen. Was also sollte man als PUA tun, in einer Welt, in der der Wille von Frauen plötzlich zählt?! Wir raten dazu euer Weltbild gehörig zu überdenken und euch abzuschaffen.
Fazit: Die Moral von der Geschicht‘ – Pick-Up-Artists traut man nicht!
Durch die verdrehte Gesellschaftsanalyse und dem dazugehörigen Frauenbild – die in der Pick-Up-Szene vorherrschen, werden sexualisierte Übergriffe und Gewalt systematisch normalisiert. Indem sich PUAs eine Opferrolle aneignen, die ihnen nicht zusteht, verdecken sie den Blick auf das eigentliche Problem: Die Objektivierung, Unterdrückung von und Gewaltausübung gegen Frauen. Zusätzlich liefert die PUA-Szene auch noch die passenden Methoden und Argumente zur Manipulation von weiblich gelesenen Personen. Die Konsequenzen aus alldem ist die Festigung und das Fortschreiten patriarchaler Strukturen sowie ein kontinuierlicher Anstieg von Gewalt gegenüber FLINTA.
1-2 Schutzbach 2018, 30
3-4, 6 Schutzbach 2018, 313
5 Almog/Kaplan 2017, 35
Frauen sind nicht generell die besseren Menschen, aber…
Auch weiblich gelesene Personen findet man in der PUA-Szene. Zum Thema Huren und Heilige hat sich z. B. der PUA „donjon“ eine Frau in seinen ätzenden Podcast eingeladen, die dort die Aufgabe hat zu bestätigen, was er sagt und wie toll er ist. Das Auftreten von Frauen in Videos, Podcast usw. ist nicht selten in der PUA-Szene. Auch die Mitarbeit in Büros oder als ‚Winggirls‘ für den ‚social proof‘ beim Aufreißen ist normal.
Und nicht nur in der PUA-Szene sind es Frauen, die patriarchale und/oder antifeministische Strukturen mit stützen. ‚Toxische Weiblichkeiten‘ von ‚Tradwifes‘ bis ‚Pick-Me-Girls‘ sind Phänomene, die wir in feministischen Debatten mit besprechen müssen. Das Vorleben von traditionellen, binären Geschlechterrollen und dem biologistischen Frauenbild der ‚Tradwifes‘ (aus den Wörtern ‚traditionell‘ und ‚Hausfrauen‘ zusammengesetzt) stützt die Geschlechterungleichheit in der Gesellschaft ebenso, wie das unsolidarische Verhalten der ‚Pick-Me-Girls‘. Deren Fokus liegt darin, nicht wie alle anderen Frauen zu sein, um so die Anerkennung und Aufmerksamkeit von männlich gelesenen Personen zu erlangen.
Die Auf- oder Abwertung von Personen nach dem Aussehen ist auch unter Frauen oft normalisiert. Sexistische sowie patriarchale Strukturen werden von vielen Frauen wenig hinterfragt und dadurch reproduziert. Aber Frauen sind nicht die Gewinner*innen im Patriarchat. Und sie haben sich keine Szene geschaffen, in der sie Männer durch manipulative Methoden gegen ihren Willen beeinflussen – auch wenn sich das in bestimmten Manosphere-Ecken herbeifantasiert wird. Es gibt kein weibliches Pendant zu den Verschwörungsideologien der Manosphere. Das Problem bleibt am Ende Männlichkeit, auch wenn weiblich gelesene Personen nicht per se die besseren Menschen sind und einzelne Frauen die Argumente und Methoden von PUAs unterstützen.