Vom AFC zum Alpha – Männlichkeit(en) in der ‚Pick-Up‘-Szene 

Den selbsternannten ‚Pick-Up-Artists‘ (PUAs) geht es beim Erlernen und Ausüben ihrer sexistischen Verführungspraktiken nicht primär um die sexuelle „Eroberung“ von Frauen (1), sondern um den Erwerb einer bestimmten Form von Männlichkeit, welche sie als „Alpha-Männlichkeit“ (2) bezeichnen. Weiblich gelesene Personen werden dabei entpersonalisiert (siehe auch Beitrag zum Frauenbild der ‚PUAs‘) und stellen aus Sicht der ‚PUAs‘ keine eigenmächtigen Subjekte dar. Sie werden vielmehr zu bloßen Schachfiguren degradiert, die den ‚PUAs‘ als Projektionsfläche für die eigene Männlichkeit dienen.

Was ist eigentlich unter Männlichkeit zu verstehen?

Männlichkeit beschreibt nach der Männlichkeitsforscherin Raewyn Connell „eine Position im Geschlechterverhältnis; die Praktiken, durch die Männer und Frauen diese Position einnehmen und die Auswirkungen dieser Praktiken auf die körperliche Erfahrung, auf Persönlichkeit und Kultur“ (3). Nach Connell gibt es verschiedene Formen von Männlichkeit, die erst in ihrer Abgrenzung von bestimmten Formen von Weiblichkeit Kontur gewinnen. Sie sind zudem in eine streng hierarchische Ordnung eingebettet, die wiederum Austragungsort beständiger Machtkämpfe ist. Dabei gibt es sowohl hegemoniale, d.h. „übergeordnete“ Formen von Männlichkeit, als auch marginalisierte, untergeordnete Formen.

Historische Entwicklungslinien

Die Coachings der ‚PUAs‘ „entstammen einem therapeutischen Milieu, das auch die ‚Männerbewegung‚ hervorgebracht hat“ (4). So entstanden als Reaktion auf die Thematisierung von Männlichkeit durch die Frauenbewegung Ende der 1960er Jahre therapeutische Selbsterfahrungsgruppen, Workshops und Therapien, die sich die sich mit Themen wie „Männer und Feminismus“, „männliche Sexualität“, „Männeremanzipation“ beschäftigen. Diese standen zumindest dem liberalen Feminismus nahe und setzen sich kritisch mit einer traditionellen Männlichkeit auseinander. In den 1980er Jahren kam es schließlich zu einem Turn, im Zuge dessen sich diese kritischen Männlichkeitsgruppen der „Wiederherstellung einer Männlichkeit [widmeten], die man durch den gesellschaftlichen Wandel verloren oder beschädigt glaubte“ (5). Eine kritische Auseinandersetzung mit Männlichkeit mit dem Ziel, diese mehr oder minder ablegen zu können, wurde also durch das Suchen und vermeintliche Finden einer „wahren Männlichkeit“ ersetzt. Der Männlichkeitskritiker Kim Posster schreibt in Bezug auf die sich auch derzeit wieder in Entstehung befindenden kritischen Männlichkeitsgruppen:

„Die Geschichte der Männer-Selbsterfahrungsgruppen zeigt viele der Problematiken, die heutige Versuche von ‚Kritischer Männlichkeit‘ stets wiederholen: Männer, die sich relativ lose und offen zum Thema Männlichkeit zusammentun, kreisen in der Regel im schlechten Sinne um sich selbst. Sie vermischen die notwendigen emotionalen Prozesse von Männlichkeitskritik mit ihrer Sehnsucht nach männlicher Identität und Gemeinschaft. Denn Männlichkeit kritisieren und aufgeben und gleichzeitig Mann bleiben wollen und müssen ist ein tiefer Widerspruch, an dem die meisten Männer immer wieder scheitern.“ (6)

Zur Männlichkeitsbildung in der ‚PUA‘-Szene

Im „Game“ der ‚PUAs‘ geht es daher darum, in der Hierarchie aufzusteigen und sich eine übergeordnete Form von Männlichkeit anzueignen. Wie das genau vonstatten geht, soll hier kurz nachgezeichnet werden.

Newcomer erhalten szeneintern in der Regel das Label Average Frustrated Chump (AFC). Jener „durchschnittliche frustrierte Trottel“ wird in der ‚PUA‘-Literatur als ein eher unsicherer, sexuell erfolgloser Typ Mann mit mangelhaften sozialen Kompetenzen beschrieben. Von diesem problematisierten Zustand der „Halbmännlichkeit“ (7) gilt es sich zu emanzipieren. Dafür müssten sich AFCs allerdings von ihrem „alten Ich“ für immer verabschieden. Und hier kommt im wahrsten Sinne des Wortes Pick-Up ins Spiel. So schreibt beispielsweise ein User des Pick Up Forums namens Razor:

„Werde dir darüber klar, dass du hier bist, weil du mit dir schon länger unzufrieden bist. Du bist nicht hier um eine Frau aufzureißen und dann alles fallen zu lassen. […]. Du bist hier, weil du etwas lernen möchtest und deinen Lebensstandard verbessern willst. Du bist hier weil du ein AFC bist, ein Nice Guy […]. Also werd dir klar darüber, dass du deinen Arsch hochbekommen und dich verändern musst. Von nichts kommt nichts und wir können dir sicher sagen, dass du es nicht in einer Woche, einem Monat oder einem Jahr hinbekommst. Pick Up ist eine Entwicklung für dein Leben! Also tu etwas für dein Leben. Im Gegenzug können wir dir viel Spaß versprechen!“ (8)

‚PUAs‘ befinden sich ihrem Selbstverständnis nach also an der „Schwelle“ zwischen zwei Männlichkeitsformen: sie sind zwar keine AFCs mehr, aber (noch) keine Alphas. ‚Pick-Up‘ inszeniert sich dementsprechend als das fehlende Bindeglied, welches den „Nerds“ das nötige „Werkzeug“ an die Hand gibt. Damit ausgestattet können sie sich einem Wandel unterziehen, der ihr gesamtes Leben positiv verändern soll. Aus Sicht der ‚PUAs‘ bietet nämlich das „Game“, im Zuge dessen das weiblich gelesene Gegenüber mittels manipulativer und gewaltvoller Techniken gefügig gemacht werden soll, also das Potential, eine Form von Männlichkeit herauszubilden (Alpha-Männlichkeit eben), die es mit anderen, szeneexternen Männlichkeiten aufnehmen kann. Sexueller Ruhm und das Gefühl von männlicher Überlegenheit gehen nach dieser Logik Hand in Hand.

Jene von den ‚PUAs‘ so hochgehaltene Alphamännlichkeit zeichnet sich dabei weniger durch ein bestimmtes physisches Erscheinungsbild (wie breite Schultern und durchtrainierte Körper) aus, sondern ist verbunden mit einer männlich-dominanten Ausstrahlung, welche performativ hergestellt bzw. inszeniert werden kann. Explizit geht es darum, durch das Erlernen einer bestimmten Körperhaltung, Gestik, Mimik und Ausdrucksweise eine „illusion of power and success“ (9) zu erzeugen. Erfolg bei  Frauen scheint aus Perspektive der ‚PUAs‘ also für jedermann erlernbar zu sein. Jene Strategie der eigenen Verhaltenssteuerung durch bestimmte Techniken wird im ‚PUA‘-Slang als „Outer Game“ bezeichnet. Tatsächlich wäre es aber zu kurz gegriffen zu behaupten, AFCs würden von heute auf morgen zu einem „erfolgreichen“ PUA, lediglich indem sie sich und anderen etwas vorspielen. Im Gegenteil: sie müssen jenes „Spiel“ im Sinne eines  „Inner Games“ vielmehr internalisieren und zu einem Teil ihrer Persönlichkeit werden lassen (10).

Die Soziologin Luisa Streckenbach arbeitete in ihrer empirischen Analyse zur Konstruktion von Männlichkeit innerhalb der ‚Pick-Up‘-Szene heraus, dass ‚PUAs‘, ob bewusst oder unbewusst, zwischen sex und gender unterscheiden. Denn obgleich es einige wenige Männer gäbe, die von Natur aus die gleichen Erfolge wie ‚Pick-Up-Artists‘ erzielen würden, ohne dass sie sich dafür ‚Pick-Up‘-Wissen und -Verhalten aneignen mussten (diese werden von ‚PUAs‘ als „Naturals“ bezeichnet“), kann das sogenannte Mann-Sein auch im Rahmen von ‚Pick-Up‘-Seminaren erworben werden. Streckenbach schreibt dazu:

„[…] für die Pickup Artists [kann] das Mann-Sein, wenn es einmal verloren war, nicht nur wieder erworben werden […], sondern […] es [muss] grundsätzlich erst erworben werden […], weil es nur in Ausnahmen ,von Natur aus‘ vorhanden ist. Die Diagnose, welche die Pickup Artists für das Fehlen von Männlichkeit anbieten, beschreibt einen Mangel an entsprechender Inszenierung des Mann-Seins – eben des sozialen Geschlechts. Und nur, wer diesen Mangel behebt und sex und gender wieder in ,Einklang‘ bringt, kann ein ,richtiger Mann‘ werden bzw. sein“ (11).

Ein „richtiger Mann“ bzw. „Alpha“ ist – aus Sicht der ‚PUAs‘ – selbstbewusst, aktiv, belesen und dominant. Darüber hinaus muss er Wissen, Stärke, Zielstrebigkeit und Dominanz ausstrahlen und Erfolg bei Frauen haben. Die Aneignung und Aufrechterhaltung diese hegemialen (also übergeordneten) Männlichkeitsbildes ist also richtig harte Arbeit und unterliegt gleichzeitig auch immer der Gefahr, wieder verloren zu gehen.

Im Rahmen von ‚PUA‘-Seminaren wird dieses Training als eine Art Selbstbewusstseinstraining propagiert. In Wirklichkeit geht es – wie wir gesehen haben – aber um die Herausbildung einer bestimmten Form von Männlichkeit, die einfach kacke ist.

‚PUAs‘ an „gesellschaftlichen Rändern“ oder Phänomen der Gesellschaft?

Wir sind nicht nur „schmeichelnde Spiegel“!

Connell geht davon aus, dass Formen von Männlichkeit je spezifische Antworten auf bestehende wirtschaftliche und gesellschaftliche Verhältnisse sowie Bedingungen darstellen, die sich im Rahmen eines fortwährenden Aushandlungsprozesses immer wieder neu konstruieren. Angesichts der globalen Emanzipationsbewegung, des (durch den Neoliberalismus begünstigten) Einzugs von Frauen in die Arbeitswelt und der Forderung nach (sexueller) Selbstbestimmung kommt es nach Connell zu einer „Krise der gesamten Geschlechterordnung“ (12), die bei vielen Männern Verunsicherung hervorruft. Zu betonen ist allerdings, dass die hier beschriebene Krisentendenz nicht mit einer Krise der Männlichkeit verwechselt werden darf, wie dies gerne in männerrechtlichen Diskursen propagiert wird. ‚Pick-Up‘ kann vor dem Hintergrund dieser „ungeheuren Veränderungen im Geschlechterverhältnis“ (13) und der damit einhergehenden Infragestellung männlicher Herrschaft als ein „Souveränisierungsversuch“ (14) verstanden werden, im Zuge dessen dominante Männlichkeit (wieder)hergestellt werden soll.Quellen

‚PUAs‘ und deren Verführungstechniken und Coachings sind bis zu einem gewissen Grad in der Mehrheitsgesellschaft anerkannt oder zumindest angekommen. Dies zeigen TV Shows wie die 2007 ausgestrahlte Realityshow „The Pick Up Artist“ so wie verschiedene Coaching-Bücher, die in diversen Buchläden erhältlich sind.

Dass die von ‚PUAs‘ propagierte Form von Männlichkeit mehr als problematisch ist, steht außer Frage. Allerdings handelt es sich hier um kein Randphänomen. Die sexistische Ideologie gedeiht vielmehr innerhalb eines gesellschaftlichen Klimas, das erfolgreiche Männlichkeiten an aus emanzipatorischer Sicht problematischen Maßstäben misst und entlang dieser bewertet. Frauen zu dominieren und gefügig zu machen, sie als „schmeichelnde Spiegel“ seiner selbst zu nutzen ist einer davon. Wir sagen Pfui! 


Quellen

(1) Hinweise darauf, wie wir gendern, findest Du in der Einleitung
(2) Schutzbach, Franziska: Dominante Männlichkeit und neoreaktionäre Weltanschauungen in der Pick-Up-Artist-Szene. (2018), S. 309.
(3) Connell, Raewyn (2015): Der gemachte Mann. Konstruktion und Krise von Männlichkeiten. Wiesbaden, S. 124., S. 124.
(4) ebd. S. 130.
(5) ebd. S. 49.
(6) Posster, Kim (2020): „Auf den eigenständigen Männerstandpunkt ist kein Verlass“.Die Geschichte der linken Männerbewegung und das problematische Verhältnis von Männern und Feminismus heute. In: Analyse und Kritik 662. (Zugriff am: 06.08.2021).
(7) vgl. Almog, Ran/Kaplan, Danny (2017): The nerd and his discontent: The seduction community and the logic of the game as a geeky solution to the challenges of young masculinity. In: Men and Masculinities 20 (1). S. 34.
(8) Razor 2007 im Pick Up Forum
(9) Almog, Ran/Kaplan, Danny (2017): The nerd and his discontent: The seduction community and the logic of the game as a geeky solution to the challenges of young masculinity. In: Men and Masculinities 20 (1). S. 40.
(10) vgl. ebd. S. 36f.
(11) Streckenbach, Luisa (2016): „Der Weg des wahren Mannes“ und die Vergeschlechtlichung der Selbstoptimierung. Eine empirische Analyse der Community der Pickup Artists. Freiburger Zeitschrift für Geschlechterstudien, 1/2016. S. 34
(12) Connell, Raewyn (2015): Der gemachte Mann. Konstruktion und Krise von Männlichkeiten. Wiesbaden, S. 138.
(13) ebd. (2015), S. 140.
(14) Schutzbach, Franziska: Dominante Männlichkeit und neoreaktionäre Weltanschauungen in der Pick-Up-Artist-Szene. (2018), S. 310.