Redebeitrag vom 7. Januar 2023

Am 7. Januar 2023 organisierten wir zum vierten Mal eine Kundgebung in der Schillerstraße, um an den rechten Terroranschlag, der dort im Jahr 1984 verübt wurde zu erinnern und der Opfer und den Betroffenen zu gedenken. Das war unser Redebeitrag.

Wir wir von unseren Vorredner*innen bereits gehört haben, sind rechter Terror sowie seine Verharmlosung und Entpolitisierung seit mehr als 40 Jahren Teil der Münchner Stadtgeschichte. 

Wir organisieren diese Kundgebung nun bereits zum vierten Mal. Für uns ist sie ein Beitrag, den wir leisten wollten und wollen, um die Erinnerung an Corinna Tartarotti, die hier 1984 von Neonazis ermordet wurde, wachzuhalten. Mit dem Ziel den Anschlag wieder ins öffentliche Bewusstsein zu rücken, haben wir recherchiert, Texte veröffentlicht, Interviews und Gespräche mit Hinterbliebenen geführt, Redebeiträge zum Thema gehalten. Zu den Jahrestagen des Anschlags haben wir Kundgebungen und 2022 zum Todestag von Corinna Tartarotti zum ersten Mal einen antifaschistischen Spaziergang zum Grab organisiert. In all den Jahren haben wir viel gelernt. Immer wieder haben sich neue Aspekte aufgetan und neue Erkenntnisse ergeben. So bekamen wir dank der Zusendung einer ehemaligen Schulkameradin von Corinna Tartarotti nach vielen Jahren ein Gesicht zum Namen. 2022 wurde ihr Grab auf dem Sendlinger Friedhof gefunden, vom a.i.d.a.-Archiv übernommen. Und, so erläuterte Marcus Buschmüller damals, „der Erhalt des Grabes bis mindestens zum Jahr 2032 gesichert und damit natürlich auch die Möglichkeit eines dortigen Gedenkens an die Ermordete.“ Die Süddeutsche Zeitung berichtete 2022 zum Jahrestag groß über den „Vergessenen Anschlag“. Ende letzten Jahres hat sich die Nichte von Corinna Tartarotti bei uns gemeldet und einige zusätzliche Einblicke liefern können. So handelte es sich beim Journalisten Franz Tartarotti, der im August letztes Jahr verstorben ist, um den Halbbruder Corinnas. Nicht – wie viele berichteten – um ihren Vater. Auch die Stadt wurde schlussendlich aktiv und möchte sich in das Gedenken einbringen, was wir ausdrücklich begrüßen. Vor genau einem Jahr wurde ein interfraktioneller Stadtratsantrag gestellt, der eine Gedenktafel fordert, mit der an den Anschlag und die Betroffenen erinnert werden soll. Die Mühlen der Stadtverwaltung mahlen langsam, jedoch konnte zumindest dieses Jahr eine vorübergehende Projektion realisiert werden. Wir sind da unbürokratischer und haben darum schonmal eine vorübergehende Gedenktafel mitgebracht. Uns ist natürlich bewusst, dass diese Gedenktafel nur eine Übergangslösung ist. Sie kann und soll durchaus als Appell an die Stadt München verstanden werden, eine permanente Lösung zu finden, um an den Anschlag, die Opfer und alle Betroffenen zu einnern. Die Stadt muss sich der Verantwortung stellen und rechten Terror erinnerungspolitisch aufarbeiten. Das bedeutet für uns mehr, als am Jahrestag eine Veranstaltung zu organisieren oder eine Gedenktafel aufzuhängen. Sich der Verantwortung zu stellen, bedeutet, sich mit der Wurzel von rechtem Terror aktiv auseinanderzusetzen und in die Gesamtgesellschaft hinein zu wirken.

Die Brutalität und Gewalt, mit der extrem rechte Täter wie die Gruppe Ludwig gegen ihre Opfer vorgehen, sorgt für Erschrecken und stößt zumeist auf Ablehnung. Die öffentliche Distanzierung von dieser Gewalt verkommt jedoch zur Phrase, wenn es gleichzeitig keinerlei Bestrebungen gibt anzuerkennen, dass diese Gewalt nicht nur an vermeintlichen Rändern unserer Gesellschaft auftaucht, sondern dass sie häufig aus dieser „imaginierten, guten Mitte“ stammt und es sich bei dieser Gewalt um eine Alltagserfahrung für marginalisierte Gruppen handelt.

Eine Alltagserfahrung, an der sich in den letzten 40 Jahren nicht viel geändert hat. ​​​​​​

So ordnen wir aus heutiger Perspektive die „Gruppe Ludwig“ als eine männerbündische Gemeinschaft ein, in der soldatische Männlichkeit als Ideal galt und in der Männer die Elite der Gesellschaft darstellten. Sie, die Weibliches mit Schwäche verbanden und daher verachteten, sahen sich zu Höherem berufen. Mit dem Ziel, eine vermeintlich natürliche Ordnung wiederherzustellen, ermordeten sie jene, die sie für den imaginierten moralischen Verfall und Unreinheit in der Gesellschaft verantwortlich machten.

Wir können und werden die Mord- und Anschlagsserie der „Gruppe Ludwig“ nicht ad acta legen, weil dieses Welt- und Menschenbild bis heute in weiten Teilen unserer patriarchalen Gesellschaft vorherrscht.

Rechtsextremer oder religiös motivierter Terror ist nur der letzte Schritt in einer meist langen Radikalisierungsgeschichte. Antifeministische und misogyne Ressentiments spielen dabei eine maßgebliche Rolle – diese müssen dringend besser analysiert und gesellschaftlich anerkannt und AkteurInnen wirksam bekämpft werden.

Selbst wenn die Stadt oder der Staat Teile des Gedenkens und der Arbeit zu rechtem Terror übernimmt, bleibt es unsere Aufgabe als Antifaschist*innen aufmerksam zu sein, kritisch zu hinterfragen und den extra Schritt zu gehen. Es gilt Gesellschaftskritik zu üben und zu analysieren, wie diese menschenverachtende Gewalt entstehen kann.

Dass es dafür solidarische Bündnisse gibt, zeigt uns Euer Kommen heute, lasst uns daran anknüpfen. Vielen Dank, dass Ihr heute hier seid.

Wir gedenken den Opfern der „Gruppe Ludwig“ und allen Betroffenen der Mord- und Anschlagsserie.

  • Guerrino Spinelli, einem 33-jährigen Sinto, der am 25. August 1977 in Verona in seinem Auto schlafend mit Molotov-Cocktails angegriffen wurde und eine Woche später seinen schweren Verletzungen erlag.
  • Luciano Stefanato, einem homosexuellen Kellner, der am 19. Dezember 1978 in Padua mit Messerstichen getötet wurde.
  • Claudio Costa, einem 22-jährigen Homosexuellen, der am 12. Dezember 1979 erstochen in Venedig aufgefunden wurde.
  • der 51-jährigen Sexarbeiterin Alice Maria Beretta, die am 20. Dezember 1980 erschlagen wurde.
  • dem Studenten Luca Martinotti, der am 24. Mai 1981 einem Brandanschlag in Verona zum Opfer fiel.
  • der beiden Mönche Mario Lovato und Giovanni Pigato, die am 20. Juli 1982 in Vicenza erschlagen wurden. Mario Lovato wurde 71, Giovanni Pigato 69 Jahre alt.
  • dem 71-jährigen Priester Armando Bison, der am 20. Februar 1983 in Trient erschlagen wurde.
  • Giorgio Fronza, Ernesto Mauri, Pasquale Esposito, Elio Molteni und Domenico La Sala, die am 14. Mai 1983 bei einem Brandanschlag auf das Kino „Eros“ in Mailand ums Leben kamen und
  • dem 46-jährigen Arzt Livio Ceresoli, der den im Kino eingeschlossenen Menschen zur Hilfe kommen wollte und selbst zum Opfer wurde.
  • Und wir gedenken Corinna Tartarotti, die im ehemaligen Club Liverpool in München so schwere Verletzungen erlitt, dass sie drei Monate später, am 27. April 1984 starb. Sie wurde 20 Jahre alt.