Unser Redebeitrag bei der Gedenkveranstaltungen zum Oktoberfestattentat 2022

Diese Rede wurde am 26. September 2022 gehalten:

Wir sind die Antisexistische Aktion München und beschäftigen uns seit drei Jahren mit dem rechtsterroristischen Anschlag der selbsternannten Gruppe Ludwig im Jahr 1984 auf den damaligen Club Liverpool in München.

Zwar ist heute nicht der 7. Januar und auch kein Todestag der Opfer der Gruppe Ludwig, aber wie einer der Überlebenden des Oktoberfestattentats bei der Gedenkveranstaltung im Jahr 2020 sagte: für ihn ist jeder Tag der 26. September. Wir finden auch, dass jeder Tag ein guter Tag ist, um den Opfern rechter Gewalt zu gedenken, ihre Namen zu nennen und sie so in den Mittelpunkt des Gedenkens zu stellen. Darum möchte ich zunächst die Namen derer nennen, die von der Gruppe Ludwig ermordet wurden.

  • Wir gedenken Guerrino Spinelli, einem 33-jährigen Sinto, der am 25. August 1977 in Verona in seinem Auto schlafend mit Brandsätzen angegriffen wurde und eine Woche später seinen schweren Verletzungen erlag.
  • Wir gedenken Luciano Stefanato, einem homosexuellen Kellner, der am 19. Dezember 1978 in Padua mit Messerstichen getötet wurde.
  • Wir gedenken Claudio Costa, einem 22-jährigen Homosexuellen, der am 12. Dezember 1979 erstochen in Venedig aufgefunden wurde.
  • Wir gedenken der 51-jährigen Sexarbeiterin Alice Maria Beretta, die am 20. Dezember 1980 erschlagen wurde.
  • Wir gedenken dem Studenten Luca Martinotti, der am 24. Mai 1981 einem Brandanschlag in Verona zum Opfer fiel.
  • Wir gedenken der beiden Mönche Mario Lovato und Giovanni Pigato, die am 20. Juli 1982 in Vicenza erschlagen wurden. Mario Lovato wurde 71, Giovanni Pigato 69 Jahre alt.
  • Wir gedenken dem 71-jährigen Priester Armando Bison, der am 20. Februar 1983 in Trient erschlagen wurde.
  • Wir gedenken Giorgio Fronza, Ernesto Mauri, Pasquale Esposito, Elio Molteni und Domenico La Sala, die alle am 14. Mai 1983 bei einem Brandanschlag auf das Kino „Eros“ in Mailand ermordet wurden und
  • Wir gedenken dem 46-jährigen Arzt Livio Ceresoli, der den im Kino eingeschlossenen Menschen zur Hilfe kommen wollte und selbst zum Opfer wurde.
  • Und wir gedenken Corinna Tartarotti, die im ehemaligen Club Liverpool so schwere Verletzungen erlitt, dass sie drei Monate später, am 27. April 1984, hier in München starb. Sie wurde 20 Jahre alt.

Rechter Terror sowie seine Verharmlosung und Entpolitisierung sind seit mehr als 40 Jahren Teil der Münchner Stadtgeschichte. Wir sind heute hier, um an die Opfer dieser Gewalt zu erinnern und uns mit ihnen zu solidarisieren, denn allzu oft steht noch immer die einseitige Auseinandersetzung mit den Täter*innen im Fokus. Worüber berichtet und geredet wird, sind die vermeintlichen Motive der Täter*innen, die nicht selten für psychisch krank erklärt werden. So werden ihre Taten entpolitisiert, an den gesellschaftlichen Rand gedrängt und einer wirklichen Auseinandersetzung oder gar Bekämpfung aus dem Weg gegangen.

  • Das war – wie wir heute gehört haben – beim Oktoberfestattentats so. Die Ermittlungsbehörden ignorierten die Mitgliedschaft des Täters in der neonazistischen Wehrsportgruppe Hoffmann. Er, der vermeintliche Einzeltäter, habe sich zudem in einer persönlichen Krise befunden.
  • Das war so bei den mindestens zehn Morden des Nationalsozialistischen Untergrunds, von denen zwei hier in München verübt wurden. Habil Kılıç und Theodoros Boulgarides wurden Opfer dieses Rechtsterrors hier in München. Es dauerte mehr als zehn Jahre – bis zur Selbstenttarnung des NSU – dass der rechte Charakter der Morde auch bei den Behörden erkannt wurde. Sie ermittelten gegen die Angehörigen, statt ihnen zuzuhören, ihnen zu glauben und den Hinweisen auf Rechtsterrorismus nachzugehen.
  • Das war so beim rechten Terror vom 22. Juli 2016 als ein rechter Attentäter neun Menschen am Münchner Olympia Einkaufszentrum und anschließend sich selbst erschoss. Er wählte die Opfer nach rassistischen Motiven aus, verehrte Hitler und die AfD. Es waren Journalist*innen, einzelne Politiker*innen, die Zivilgesellschaft und vor allem die Angehörigen, die erreichten, dass Gutachten angestellt und die Morde schlussendlich als rechte Gewalttaten anerkannt wurden.
  • Und das war so beim Anschlag auf den Club Liverpool in der Schillerstraße im Münchner Bahnhofsviertel, auf den wir in unserem Redebeitrag heute näher eingehen möchten.

Der Anschlag auf das Liverpool ist zwar fast vierzig Jahre her, doch das ist kein Grund, den rechten Terror der Gruppe Ludwig zu den Akten zu legen. Ganz im Gegenteil. Denn unser Wissen über die Opfer des Anschlags ist noch immer lückenhaft, dabei sollen sie bei kritischem Gedenken im Zentrum stehen.

Nach dem Anschlag auf das Liverpool ermittelt die Münchner Polizei zunächst ausschließlich im sogenannten Zuhälter-Milieu. Dass der Anschlag rechtsterroristisch motiviert sein könnte, kommt ihnen erst, als sich die Täter selbst wenige Tage nach dem Anschlag bei der Mailänder Nachrichtenagentur Ansa zum Anschlag in München bekennen.

Nun kann man den Ermittlungsbehörden nicht unbedingt vorwerfen, dass sie in diese Richtung ermitteln. Schließlich müssen sie alle möglichen Optionen in Betracht ziehen und mitdenken. Was man ihnen jedoch vorwerfen kann, ist, dass sie aus den Ermittlungspannen der vergangenen Jahrzehnte nichts gelernt haben. Das zeigen, wie schon erwähnt, die rassistischen Ermittlungen gegen Angehörige im NSU-Komplex oder dass man den Täter des OEZ-Attentats kurzerhand zum Mobbing-Opfer erklärte.

Nicht zuletzt zeigt sich ihre Unfähigkeit zu lernen in der Entpolitisierung von Straftaten bei denen Geschlechtlichkeit oder Sexualität ins Spiel kommen. 1984 wurde die Gruppe Ludwig sehr schnell als Teil von vermeintlich durchgeknallten Oberschichtkids abgetan und dabei versäumt, die Taten richtig einzuordnen. Daran hat sich bis heute nicht viel geändert. Tendenziell erklären Behörden Beteiligte bei Taten mit Genderkomponenten, wie beispielsweise Feminiziden, für unzurechnungsfähig. Die Folge ist, dass keine gesellschaftliche Analyse stattfindet – die aber gerade im Bereich Antifeminismus so dringend notwendig wäre, um rechtem Terror zu begegnen.

Dass wir bis heute so wenig über die Opfer der Gruppe Ludwig wissen, liegt mit Sicherheit auch daran, dass es sich bei ihnen um Menschen handelt, die in unserer Gesellschaft bis heute keine Lobby haben. Es waren Sexarbeiter*innen, Drogennutzer*innen, Sinti*zze und Rom*nja oder wohnungslose Menschen, die bis heute ausgrenzt und diskriminiert werden.

Ein weiterer Grund, warum wir den Anschlag nicht einfach zu den Akten legen können, ist, dass wir uns bei der Erinnerung an die Opfer ebenfalls nicht auf den Staat verlassen können. Weder am Tatort, noch irgendwo anders in München, gibt es eine Erinnerungstafel an den Brandanschlag vom 7. Januar 1984 und seine Opfer. Bis heute sind es ausschließlich antifaschistische Gruppen, die den Terroranschlag bei Demonstrationen, Stadtspaziergängen oder der seit 2019 jährlich von uns organisierten Gedenkkundgebung thematisieren.

Corinna Tartarottis Grab wird seit diesem Jahr nicht etwa von staatlicher Seite, sondern von der antifaschistischen Informations-, Dokumentations- und Archivstelle München, kurz dem a.i.d.a. Archiv, finanziert.

Ohne das Engagement dieser Initiativen und engagierter Einzelpersonen wäre der Anschlag heute vermutlich gänzlich in Vergessenheit geraten.

Die zu Beginn diesen Jahres von der Politik geforderte Gedenktafel am Tatort im Münchner Bahnhofsviertel wäre sicherlich ein Anfang, um gegen das Vergessen anzukämpfen. Wir hoffen sehr, dass die Münchner Verwaltung der Umsetzung des Stadtratantrags nachkommt und bis zum kommenden Jahrestag des Brandanschlags 2023 eine Gedenktafel realisiert wird.

Nicht zuletzt heißt das Problem Antifeminismus und Misogynie.

Aus heutiger Perspektive ordnen wir die Gruppe Ludwig als eine männerbündische Gemeinschaft ein, in der soldatische Männlichkeit als Ideal galt und in der Männer die Elite der Gesellschaft darstellten. Sie, die Weibliches mit Schwäche verbanden und daher verachteten, sahen sich zu Höherem berufen. Mit dem Ziel, eine vermeintlich natürliche Ordnung wiederherzustellen, ermordeten sie jene, die sie für den imaginierten moralischen Verfall und Unreinheit in der Gesellschaft verantwortlich machten.

Wir können die Mord- und Anschlagsserie der Gruppe Ludwig schon deshalb nicht ad acta legen, weil dieses Welt- und Menschenbild bis heute in weiten Teilen unserer patriarchalen Gesellschaft vorherrscht. Antifeminismus wird so zu einer Ideologie, welche die Brücke schlägt zwischen der extremen Rechten und der sogenannten „bürgerlichen Mitte“.

Die Brutalität und Gewalt, mit der extrem rechte Täter wie die Gruppe Ludwig gegen ihre Opfer vorgehen, sorgt für Erschrecken und stößt zumeist auf Ablehnung. Die öffentliche Distanzierung von dieser Gewalt verkommt jedoch zur Phrase, wenn es gleichzeitig keinerlei Bestrebungen gibt, das Patriarchat und männliche Privilegien abzuschaffen und den zahllosen hasserfüllten, antifeministischen Kampagnen, die Konservative, christliche Fundamentalist*innen und die extreme Rechte fahren, ein Ende zu setzen.

Extrem rechter oder islamistischer Terror ist nur der letzte Schritt in einer meist langen Radikalisierungsgeschichte. Antifeministische und misogyne Ressentiments spielen dabei eine maßgebliche Rolle – diese müssen dringend besser analysiert und gesellschaftlich anerkannt und AkteurInnen wirksam bekämpft werden.

Das Nichterkennen, die Verharmlosung und Pathologisierung von rechtem Terror und den Täter*innen ist neben dem Terror selbst eine Gefahr. Verhindert es doch, dass diese Gewaltverbrechen richtig eingeordnet und aufgearbeitet werden können. So ist es geschehen beim NSU Komplex, bei dem die Verstrickung von Staat, Verfassungsschutz und Polizei bis heute nicht vollständig aufgeklärt ist, im Gegenteil: die Aufklärung von staatlicher Seite oft behindert wurde. So ist es geschehen beim OEZ Attentat, bei dem in der öffentlichen Wahrnehmung lange die These vom Amoklauf eines psychich labilen Einzeltäters aufrecht erhalten wurde, anstatt das geschlossen extrem rechte Weltbild des Täters und seine Radikalisierung durch rechte Online-Communities zu thematisieren. Erst durch den Aufbau von öffentlichem Druck, v.a. durch die Angehörigen, wurde die Tat als rechter Terror anerkannt. Und so ist es auch geschehen beim Oktoberfestattentat, bei dem die Staatsanwaltschaft erst 2020 nach dem Wiederaufrollen des Falls abschließend feststellen konnte, dass es sich um einen rechten Anschlag handelte

Gerade aus diesem Grund gilt unser besonderer Dank heute den Überlebenden, den Angehörigen und auch der DGB-Jugend, die diese Gedenkveranstaltung trotz aller Widerstände immer wieder organisiert, Danke für Eure unermüdliche Arbeit.

Vor etwas über zehn Jahren enttarnte sich der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) selbst. Die antifaschistische Initiative NSU-Watch appellierte anlässlich des Jahrestages an uns Antifaschist*innen mit den Worten: „Lasst euch von offenen Fragen und fehlender Aufklärung nicht ohnmächtig machen“ und dass wir nicht resignieren, sondern das vorhandene Wissen nutzen und solidarisch handeln sollen.

Diesen Appell möchten wir hier und heute an Euch weitergeben. Unser Zusammenkommen heute hat einen traurigen Anlass, doch es sind solidarische Bündnisse, die uns stark machen, um all den Widerständen etwas entgegenzusetzen und den Opfern rechter Gewalt ein würdiges Gedenken zu schaffen. Vielen Dank.