First things first

Anti-Choice ist kein neues Thema, sondern sogar ein sehr altes, ABER es ist so aktuell wie lange nicht. Nach dem Kippen von Roe v. Wade in den USA müsste allen klar sein, dass reproduktive Rechte nicht als gesichert gelten können. Diese aktuellen Ereignisse zeigen, dass bereits errungene Rechte jederzeit wieder gekippt werden können.

 

In den letzten Jahren zeichnet sich auch im deutschsprachigen Raum ab, dass die Anti-Choice-Szene aktiver wird. So fand 2022 bspw. erstmals ein „Marsch für das Leben“ in Innsbruck statt, 2023 dann einer in Köln. Zwar hat sich durch die Streichung des §219a StGB die Situation für Ärzt*innen verbessert, die über angebotene Schwangerschaftsabbrüche informieren wollen, doch den §218 StGB, der Schwangerschaftsabbrüche zur Straftat macht, gibt es immer noch. Obwohl die Situation für ungewollt Schwangere so schon mehr als belastend ist, versucht die Anti-Choice-Szene seit vielen Jahren ein vollständiges Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen zu erwirken.

Was euch erwartet

Seit vielen Jahren beschäftigen wir, die Antisexistische Aktion München, uns mit radikalen AbtreibungsgegnerInnen. Vor einiger Zeit haben wir beschlossen, unsere Gedanken und unser Wissen aufzuschreiben und zu teilen, wie wir mit dem ganzen Mist umgehen können. Das Ergebnis ist dieses Zine.

Wir beginnen mit einem Blick auf das große Ganze und schauen uns an, warum die Kontrolle über gebärfähige Körper eng mit der Aufrechterhaltung von Patriarchat und Kapitalismus verbunden ist. Da die Anti-Choice-Bewegung Teil einer antifeministischen Formierung ist, haben wir zum einen allgemeine Statistiken dazu herausgesucht und gehen in einem Text detailliert auf die antifeministischen Ideologien der AbtreibungsgegnerInnen ein. Weitere Beiträge widmen sich der Geschichte der Bewegung und den Methoden, die sie anwenden, um ihre Ziele zu erreichen. Wir stellen euch einige zentrale AkteurInnen der Anti-Choice-Bewegung vor, damit ihr wisst, mit wem ihr es zu tun habt. Ein Beitrag über die Zustände in den USA wird zudem zeigen, was uns erwarten könnte, wenn wir diesen Leuten nichts entgegensetzen. Der Kampf für reproduktive Rechte ist ein langer, wie ein Comic zur Geschichte des §218 StGB zeigt und wie düster die Lage aktuell ist, zeigen Statistiken zum Thema Schwangerschaftsabbruch, die wir für das Zine zusammengestellt haben.

Damit das alles nicht zu theoretisch wird, haben wir drei Erfahrungsberichte mit ins Zine genommen. Kathi schildert Erfahrungen, die sie bei ihren Schwangerschaftsabbrüchen gemacht hat, Leni berichtet von der teils massiven Polizeigewalt, die sie bei feministischen Protesten in München erfahren hat und die Kritischen Mediziner*innen München haben uns eine Recherche zur Verfügung gestellt, die sie 2021 schon einmal veröffentlicht haben. Darin beschreibt die Gruppe, wie sie von einer christlichen Beratungsstelle manipuliert wurden.

Am Ende steht das obligatorische Schlusswort, was jedoch nicht bedeutet, dass wir mit diesem Zine einen Anspruch auf Vollständigkeit erheben wollen – wir wollten ja auch kein Buch schreiben. Für mehr Klarheit haben wir euch einige Begriffe ins Glossar gepackt.

Warum wir in diesem Zine nicht von „Lebensschützern“ schreiben

„Pro Life“, „Lebensrecht“ oder „Lebensschutz“ sind die Eigenbezeichnungen von AbtreibungsgegnerInnen. Dahinter steckt die religiöse Vorstellung, dass bei der Verschmelzung von Same und Eizelle ein vollwertiger Mensch entsteht. Dieses „ungeborene Leben“ zählt für sie mehr als der Wille einer (ungewollt) schwangeren Person und muss geschützt werden – falls nötig auch vor der Schwangeren. Diese Eigenbezeichnungen sind Teil ihrer Strategie sich als anschlussfähige Bewegung zu inszenieren, welche sich für den Schutz des Lebens einsetzen würde. Dabei wird aber schnell klar, dass vor allem das Leben von Schwangeren dabei keine Rolle spielt.

Da wir diese Selbstbezeichnungen nicht reproduzieren wollen, verwenden wir in diesem Zine zur Benennung der sog. „Lebensschutz“-Bewegung den Begriff Anti-Choice-Bewegung. Dadurch wollen wir vor allem deutlich machen, dass sich AbtreibungsgegnerInnen gegen das Selbstbestimmungsrecht von Schwangeren für oder gegen das Austragen einer Schwangerschaft stellen. Zur Bezeichnung der AkteurInnen greifen wir aus Mangel an Alternativen vor allem auf den Begriff (radikale) AbtreibungsgegnerInnen zurück, mit dem Wissen, dass dieser die Bewegung nicht komplett treffend beschreibt. Durch diesen Begriff wird zwar der Fokus der Anti-Choice-Bewegung auf das Verbot und die Verunmöglichungen von Schwangerschaftsabbrüchen deutlich, die dahinter stehende, viel weitreichendere Ideologie und damit verbundenen Ziele treten dadurch jedoch in den Hintergrund. Trotz allem erscheint uns diese Bezeichnung als die beste Möglichkeit, AkteurInnen der Anti-Choice-Szene konkret zu benennen.

Wie wir gendern 

Die deutsche Sprache reproduziert leider patriarchale Strukturen und heteronormative Zweigeschlechtlichkeit. Darum gendern wir in der Regel mit dem Gendersternchen, denn wir wollen geschlechtliche Vielfalt abbilden und sichtbar machen. AbtreibungsgegnerInnen, AntifeministInnen, (extrem) Rechte und andere Arschlöcher gendern wir mit dem Binnen-I, um sichtbar zu machen, dass das Leute sind, die die Zweigeschlechtlichkeit verteidigen. Sollte in von uns verwendeten Zitaten jedoch anders gegendert werden, übernehmen wir die ursprüngliche Schreibweise – auch bei den Erfahrungsberichten haben wir den Autor*innen überlassen, wie sie gendern möchten. Ab und zu schreiben wir auch ganz bewusst von Frauen und Männern, im Wissen, dass Zweigeschlechtlichkeit zwar sozial konstruiert ist, dennoch aber konkrete Auswirkungen auf die Lebensrealität von Menschen und unsere Gesellschaft hat. Wer sich in die bestehenden Strukturen und Normen einfügt profitiert, jene, die es nicht tun, werden benachteiligt. Dieses Ungleichgewicht muss benannt und die Ideologie, welche auf biologistischen, göttlichen oder naturrechtlichen Argumentationen beruht, sichtbar gemacht werden. Auch darum schreiben wir in diesem Zine teilweise von Frauen. Wir verwenden bewusst kein Sternchen hinter „Frau“, da für uns alle, die sich mit der Kategorie Frau identifizieren, Frauen sind.

Bestimmt ist dies alles nicht der Wahrheit letzter Schluss, einige Aspekte hätten sprachlich sicherlich besser gelöst werden können und Sprache entwickelt sich stets weiter. Wir freuen uns entsprechend über Feedback und geben noch den Hinweis, dass dieses Zine Mitte 2023 entstanden ist.