Polizeigewalt – Ein Erfahrungsbericht

Polizeigewalt bei feministischen Protesten – Ein Erfahrungsbericht
Leni, Juli 2023

Inhaltshinweis! Polizeigewalt und Beschreibung von gewaltsamen Situationen

Begonnen haben meine Erfahrungen mit Bullengewalt vor ein paar Jahren beim feministischen Protest gegen die sogenannte Rosenzeremonie der AkteurInnen des „1000-Kreuze-Marsches“: Bei einer angemeldeten feministischen Gegendemo kam ziemlich unvermittelt eine Horde USKler (Unterstützungskommando) angerannt und prügelte völlig wahllos auf alle Menschen ein, die an den Absperrungen standen. Im Verlauf bekamen wir mehrere Schläge auf Kopfhöhe ab und zusätzlich die Gitter auf die Füße gestoßen, als die Cops versuchten, die angemeldete Kundgebungsfläche eigenmächtig zu verkleinern. Ich erinnere mich, in dieser Situation immer wieder fragende Blicke mit anderen Personen gewechselt zu haben: Wir hatten nicht damit gerechnet – sozusagen proforma – von den Cops verprügelt zu werden. In dieser Situation hatte ich jedoch noch das Gefühl, der Gewalt etwas entgegensetzen zu können. Ich fühlte mich nicht hilflos und es hinterließ das Gefühl: Schlagt uns doch so viel ihr wollt – eure Gewalt kriegt uns nicht klein!
Noch eins vorneweg: Es geht mir nicht darum, gesetzeskonforme oder gesetzeswidrige Polizeigewalt zu unterscheiden. Ich sehe die Polizei als eine Repressionsbehörde, die unabhängig davon, ob sie Gesetze einhält oder nicht, abgeschafft gehört. Es ist mir vollkommen egal, ob die Gewalt „gerechtfertigt“ war, was davor war, was danach passierte und ob die Cops privat ganz nette Leute sind: Ich wünsche mir ein Ende der Gewalt und das bedeutet die vollständige Abschaffung der Polizei.
Außerdem ist mir bewusst, dass ich niemals alleine mit diesen Gewalterfahrungen bin, dass es andere sicherlich noch deutlich „krasser“ erwischt hat. Mir ist auch bewusst, dass es mitunter fast noch angenehm erscheinen kann „nur“ von Bullengewalt betroffen zu sein, statt – wie es grad so vielen Genoss*innen ergeht – vor Gericht gezerrt oder mitunter in den Knast gesteckt zu werden. Volle Soli an dieser Stelle nach Leipzig! Free Lina – Free all Antifas!
Ich denke Repression wirkt in beiden Arten und das ist auch genauso gewollt: Wenn Leute oft genug verprügelt werden, überlegen sie sich zweimal, ob sie sich noch einmal Cops in den Weg stellen, genauso wenn man die Erfahrungen von Anklage, U-Haft, etc. machen musste.
Im Folgenden möchte ich von zwei Situationen berichten, die sich beide in den vergangenen Jahren bei Protesten gegen christliche FundamentalistInnen ereigneten und die sowohl meine körperliche Unversehrtheit, als auch mein psychisches Erleben nachhaltig beeinflusst haben.
Situation 1
Es gab zunächst eine feministische Demo, welche an ihrem Endpunkt von den Cops zerschlagen wurde. Bereits hier wandten die Bullen Gewalt gegen eine große Menge an Menschen an. Es gab einige Verletzte und Festnahmen. Im Anschluss bedrohte uns ein USKler mit einem kauendem Unterkiefer (Es klingt wie Satire – war aber wirklich so!): Er schlug mit seinem Schlagstock – mit einem immensen Schwung – in unsere Richtung. Der Knüppel verfehlte meinen Kopf nur um wenige Zentimeter, da ich es noch schaffte, in der letzten Sekunde zurück zu springen. Dabei schrie er: „Komm doch, komm doch her, wenn du dich traust“. Hätte dieser Schlag getroffen, wäre dies nicht ohne eine Kopfverletzung ausgegangen – das war uns allen in dieser Situation klar – auch beziehungsweise insbesondere dem Bullen. Wenige Minuten später eine ähnliche Situation: Wieder eine Bullenkette. Ich bekam mit, wie eine andere Person bereits mit Schmerzensschreien zurück gerannt kam, da sie Pfefferspray abbekommen hatte. Ich konnte in dieser Situation leider noch nicht ahnen, welcher Bulle dafür verantwortlich war und stellte mich – zufällig – genau vor diesen. Völlig unvermittelt pfefferte der USKler mit einem gezielten Strahl direkt in meine Augen und traf auch weitere Menschen neben mir. Ich stand ca. einen Meter vor ihm. Mir ging sofort durch den Kopf: „Fuck, das war verdammt nah“.
Dann wurde mir so schlecht, dass ich mich nicht einmal mehr von der Stelle wegbewegen konnte. Ich sank – unmittelbar vor der Bullenkette – auf den Boden. Sofort waren solidarische Personen zur Stelle und trugen mich an den Straßenrand, wo bereits mehrere Personen behandelt wurden. Wer schon mal Pfefferspray abbekommen hat, weiß wie schmerzhaft das ist. Auch ich hatte davor schon Erfahrungen damit gemacht, aber dieses Mal war es ein anderes Level: Ich konnte nicht einmal mehr blinzeln. In mir kam Panik hoch: „Was, wenn Pfeffer gar nicht so nah in die Augen kommen darf? Was, wenn ich nie wieder sehen konnte?“ Gleichzeitig rebellierte mein ganzer Körper gegen die Schmerzen und das Pfefferspray: Mir war nicht nur extrem schlecht, sondern ich hatte zeitgleich das Gefühl zu kollabieren. Ein sehr beängstigendes Gefühl. Mir wurde von solidarischen Menschen unzählige Male die Augen ausgespült. Als ich mehrfach sagte, dass mir schwindelig sei, wurde schließlich ein Krankenwagen gerufen. Als dieser kam, konnte ich sogar wieder stehen und einigermaßen sehen. Das Absurde an der Situation: Neben dem Krankenwagen kam auch noch ein Streifenwagen, da die Meldung von Pfefferspray den Tatverdacht einer gefährlichen Körperverletzung erfüllt. Also eigentlich – denn die herbeigerufenen Cops interessierten sich gar nicht für ihre gewalttätigen Kolleg*innen. Stattdessen verschafften sie sich Zugang zum Krankenwagen und wollten die Daten der Personen aufnehmen, die dort behandelt wurden. Als dies nicht gelang, erteilten sie vor dem Krankenwagen Platzverweise an solidarische Personen. Als die körperlichen Beschwerden – glücklicherweise – einige Stunden später wieder verschwanden, blieb in mir das Gefühl zurück, den Cops in ihrer Gewalt ziemlich ausgeliefert gegenüber zu stehen und ihnen nicht einmal dann entfliehen zu können, wenn man sich in medizinische Behandlung begeben muss.
Situation 2
Wieder eine feministische Demo gegen christliche FundamentalistInnen. Erneut abgesichert durch ein immenses Bullenaufgebot. Wieder USK. Die Demo lief bereits einige Meter, da kam es an einer Baustelle zu einer Engstelle und die Cops drängten sich zwischen die Absperrungen und die Demo. Es kam zu einigem Geschubse und ich hörte noch die Ansage des Gruppenführers: „Schlagstöcke raus“. Dann begannen die Cops bereits, auf die Menschen einzuschlagen. Ich wollte mich schützend vor die zum großen Teil sehr jungen Demoteilnehmer*innen stellen. Plötzlich traf mich ein ziemlich harter Schlag eines Schlagstocks auf den Hinterkopf. Ich taumelte, kam aber nicht aus der Situation heraus, da ich zusätzlich noch einige Schläge in den Bauch und in andere Körperteile bekam. Die Frage, ob das Absicht war oder nicht, stellt sich für mich hier gar nicht mehr: Wer bereit ist, mit solcher Gewalt auf Menschen einzuschlagen, nimmt im besten Fall nur in Kauf, wenn er es nicht sogar beabsichtigt, Menschen wirklich zu verletzen.
Die Folgen dieses Schlages dauerten mehrere Wochen an: Ich hatte starke Kopfschmerzen, Konzentrationsschwierigkeiten und ein allgemeines körperliches Schwächegefühl. Im Krankenhaus wurde schließlich eine Gehirnerschütterung festgestellt. Neben diesen körperlichen Folgen hatte ich dieses Mal aber auch mit den psychischen Folgen zu kämpfen. Ich hatte immer selbst angenommen, recht viel wegstecken zu können, diese Situation steckte ich nicht leicht weg. Ich hatte und habe immer noch (panische) Angst in Situationen zu kommen, in denen ich als Teil einer Menschenmenge prügelnden Cops ausgeliefert bin. Außerdem hatte ich Träume, in denen ich ähnliche Situationen nacherlebte. Mit dieser Art der Verletzung war ich in den vergangenen Jahren nicht allein. Die Cops zielten und schlugen zum Beispiel auch bei den Protesten gegen die Automobilausstellung IAA auf die Köpfe von Menschen ein, was zu mehreren Gehirnerschütterungen führte.
Was all diese Erfahrungen mir gezeigt haben: Zum einen natürlich, dass die Cops keine Friends sind. Das wir zusammen stehen müssen, um gegen die Beschissenheit der Realität bestehen zu können: Von christlichen FundamentalistInnen, die die eh schon prekären Rechte von Schwangeren noch mehr beschneiden wollen, wenn sie denn nur könnten; bis zu den Cops, die ihre Gewalt in dem Wissen ausüben können, dass ihnen keine (juristischen) Konsequenzen drohen werden.
Zum anderen haben mir diese Erfahrungen aber auch gezeigt, dass es nicht darum geht, stark zu sein und diese Gewalt einfach wegstecken zu können, sozusagen als notwendiges Beiwerk im Kampf um eine bessere Gesellschaft. Sondern vielmehr, dass das eigene Eingeständnis von Schwäche und Verletzlichkeit auch die Hoffnung auf eine menschlich eingerichtete Welt widerspiegeln kann, in der es weder Attributen wie stark oder hart bedarf und erst recht nicht irgendwelchen prügelnden Bullenschweinen.