Schwangerschaftsabbruch – Ein Erfahrungsbericht

Schwangerschaftsabbruch – Ein Erfahrungsbericht
Kathi, August 2023

Inhaltshinweis! In folgendem Erfahrungsbericht geht es um konkrete Erfahrungen mit Schwangerschaftsabbrüchen, sexualisierte Gewalt und patriarchaler Gesamtscheiße.

Dieser Erfahrungsbericht wurde von mir für dieses Zine geschrieben. Ich hatte mich vor diesem Text nur in einzelnen Gesprächen mit den Abbrüchen beschäftigt, sie nie dezidiert in Kontext miteinander gesetzt. Diesen Text zu schreiben, habe ich lange vor mir hergeschoben, immer eine Ausrede parat, warum genau heute nicht. Wohl wissend, dass es nicht daran liegt, dass ich zu faul bin, sondern hauptsächlich aus Scham und Angst.

Scham, weil ich nicht nur einen, sondern drei Abbrüche hatte und mich damit selbst in feministischen, linken Kreisen unwohl fühle. Und auch wenn ich in diesen Kreisen diesbezüglich nie negative Erfahrungen machen musste – mich zu verurteilen habe ich internalisiert.

Angst vor der Auseinandersetzung mit den Abbrüchen beziehungsweise den Umständen um sie herum, denn sie haben mit Beziehungsabbrüchen zu tun. Beziehungsabbrüchen vor allem zu den Männern, die mit für die Schwangerschaften verantwortlichen waren. Das ist der schmerzhafteste Aspekt an allen drei Abbrüchen und warum sie mich auch noch heute beschäftigen.

Mein Erfahrungsbericht bezieht sich daher inhaltlich auch darauf. Diese drei Männer und ihr Umgang mit ungewollter Schwangerschaft und Abbrüchen. Denn die Abbrüche selbst – 1x operativ, 2x medikamentös – waren für mich auf der physischen Ebene ein unangenehmer medizinischer Eingriff. Es war, wie einen Zahn zu ziehen. Schmerzhaft, aber schnell vorbei und mit Ibuprofen in Schach zu halten. Sie verliefen ohne Komplikationen und auch die Kostenübernahme sowie die Konfliktgespräche waren nicht erwähnenswert schwierig. Sie waren leicht zu bekommen (Großstadt) und inhaltlich unproblematisch.

So fühlt es sich für mich persönlich auch auf der psychischen Ebene an. Ein Abbruch ist eine medizinische Leistung, die dringend notwendig ist, in Anspruch genommen werden darf und allen Frauen auf der Welt zugänglich sein muss.

Dass es aber kein „normaler“ medizinischer Eingriff zu sein scheint, hat mir erst der Umgang meiner Umwelt mit mir bei der Durchführung meiner Abbrüche gezeigt.

Was für mich bei allen drei Abbrüchen auf unterschiedliche Art und Weise sichtbar wurde, ist, wie sich Männer auf mehr oder weniger subtile Art und Weise aus der Verantwortung ziehen. Zwei meiner Abbrüche (mit 18 und mit 29) fanden im Rahmen von sogenannten Affären statt. Ich führte mit den Männern keine romantische Beziehung. Ich weiß nicht, ob die Beziehungsform – die in ihrer offiziellen Lockerheit ein unbeschwertes Entziehen aus der Verantwortung scheinbar ermöglicht – den Umgang der Männer und ihre Versuche mit den Abbrüchen nichts zu tun zu haben, beeinflusste. Mich persönlich beeinflusste die Form auf jeden Fall, denn diese beiden Männer zogen sich ab dem Zeitpunkt der Schwangerschaft aus der Beziehung zu mir zurück und überließen mir die Verantwortung gänzlich alleine.

Die drei Abtreibungen und die Erfahrungen mit den jeweiligen Männern werde ich in drei Blöcken anreißen. Was ich damit vor allem zeigen möchte, sind die unterschiedlichen Modi, mit denen Männer sich aus der Verantwortung stehlen und es den Frauen (in diesem Falle mir, aber an der Stelle traue ich mich zu generalisieren) überlassen, sich um die Konsequenzen zu kümmern. Sie kümmern sich als ungewollt Schwangere um die Abtreibung selbst oder als Nahestehende um die Frauen, die schwanger sind und abtreiben. Denn gekümmert haben sich in allen drei Fällen hauptsächlich Frauen wie meine Mutter oder Genossinnen.

Als ich 18 war, habe ich stark konsumiert, vor allem Cannabis und Alkohol, ab und an Kokain. Ich hatte bis dahin keine romantische Beziehung, aber viele unterschiedliche, wechselnde sexuelle Kontakte, was mir den Ruf eingebracht hatte, den eine Frau mit zu vielen Typen bekommt. Hure, Schlampe, Wörter gibt es viele, wir alle kennen sie. Mit diesem Ruf einher geht vor allem sozialer Ausschluss (ausgehend von allen Geschlechtern) und sexuelle Übergriffe (ausgehend von Männern), die ich damals nicht als Übergriffe wahrnahm. Vielleicht weil ich eigentlich immer berauscht war und meine sexuellen Bedürfnisse nicht kannte. Heute weiß ich, dass mindestens drei versuchte Vergewaltigungen dabei waren, eine von meinem damaligen besten Freund, als ich bei ihm übernachtete. Durch meinen Ruf schien das wohl machbar. Und dann wurde ich schwanger. Jetzt, mit 34 Jahren, kann ich nicht mehr genau rekonstruieren, wie wer was gesagt hat. Ein Satz – vielleicht entspringt er meinem Gefühl, wie ich behandelt wurde und er wurde nie ausgesprochen, vielleicht wurde er es – schwirrt mir durch den Kopf, wenn ich daran zurück denke: „Verpiss dich du Nutte“. Ausgespochen von dem Jungen, von dem ich schwanger war.

Bei der Abtreibung war meine Mutter dabei. Meine Tante war sauer, und hielt meiner Mutter enttäuscht vor: „Wie kannst du das deiner Tochter erlauben!“. Der Abbruch fand kurz vor dem Ablauf der Frist statt, ich erzählte allen davon, war unsicher, kotzte mir die Seele aus dem Leib. Der Junge rief am Tag der Abtreibung an, wahrscheinlich hatte seine Mutter ihn gezwungen. Keine meiner Freund*innen fragte nach mir. Ich verließ den Freundeskreis. Ich war vom beliebten Mädchen zur Schlampe ohne Freund*innen geworden. Danach kam nichts mehr. Nur noch Gerüchte kamen auf, wurden mir über viele Ecken zugetragen: „Die prostituiert sich jetzt für Koks“. Techno und Amphetamine füllten die Leere in mir danach hervorragend. Jahre später traf ich einen Freund aus der Zeit auf der Straße wieder, zufällig, er entschuldigte sich für damals.

Der zweite Abbruch erfolgte in einer Beziehung. Die Mutter meines Exfreundes regelte das hauptsächlich für ihn, sie führte die Gespräche mit mir. „Seine Zukunft ist wichtig“, „ihr seid doch noch so jung, ein Kind passt jetzt noch nicht“. Beim Abbruch war er dann da. Danach folgte viel Streit. Ich fühle mich isoliert und alleine. Er verstand nicht, was los war. Von mir viele Vorwürfe. Gut kann ich mich an diese Zeit nicht erinnern. Die Beziehung lief weiter und zerbrach an anderen Themen.

Der dritte Abbruch (mit knapp 30) fand wieder innerhalb einer Affäre statt. Wie bei den anderen Schwangerschaften verhüteten wir nicht – die Möglichkeit stand im Raum. Er ist im Urlaub, als ich es erfahre. Er hat auch für danach einen Urlaub geplant und möchte diesen auch wahrnehmen. Er fährt tatsächlich in den zweiten Urlaub, ich sage, es sei ok für mich. Ist es aber nicht. Aber was soll ich auf die Frage, ob er fahren darf, es sei doch solange geplant gewesen, sagen? Bei der Abtreibung bin ich alleine. Danach wieder bei meiner Mama. Sie hat mich abgeholt. Die Ärztin sagt, sie sei froh, dass es so früh und damit medikamentös möglich sei. So mache sie sich nicht mitschuldig. Die Arzthelferin beim Frauenarzt fragt mich, warum ich die Verhütung nicht hinbekomme. Gegenüber meiner Affäre raste ich immer wieder aus, auf Signal-Messenger meistens. Zu anderen sagt er, mit mir könne man nicht reden. „Sie ist so aggressiv!“ damit könne er nicht umgehen. Ich sitze alleine zu Hause, schlage den Kopf gegen die Wand und habe das Gefühl, mein Leben wiederholt sich. Ich habe das Gefühl, wenn ich nicht für den Spaß, den Sex funktioniere, bin ich nichts wert.

Dieser Abbruch passiert innerhalb der linken Szene, in der ich die Male davor nicht organisiert war. Der Mann ist ein Genosse. Mit ihm werden Gespräche geführt. Er hält dem Druck, dem Gerede nicht stand und verlässt die Szene. Das erste Mal erfahre ich Unterstützung, Verständnis von anderen. Aber das Gefühl, dass es am Ende mein Problem ist, das mich abstoßend macht, bleibt.

Meine Erfahrungen will ich dabei nicht als authentische Wahrheit qua „Betroffenheit“ verstanden wissen. Sie sollen nicht Mitleid oder Wut über mein individuelles Erleben der Abbrüche auslösen und mich zu Opfer patriarchaler Verhältnisse werden lassen. Erfahrungen im Sinne feministischer Kämpfe sollen zwar als etwas individuelles begriffen werden, die jede Person für sich macht. Aber gleichzeitig sind Erfahrungen ein Ort an dem Gesellschaft weh tut und somit als universeller Wirkungszusammenhang greifbar wird. Man nähert sich Erfahrungen nicht affirmativ, identitätsbestätigend an – sondern negativ – als ein Ort an dem Gesellschaft weh tut.

Und daher soll der Bericht vor allem eines: Er soll wütend machen! Wütend auf patriarchale Zurichtungen, die es erlauben, dass Schwangerschaften so ablaufen können. Die es erlauben, dass Schwangerschaften und ihre Abbrüche alleine Thema der Frauen sind und auch darin immer wieder erneut vereinzelt verhandelt werden! Denn Wut lässt uns Forderungen stellen, statt zu bitten, lässt uns Begehren und Wünschen entwickeln und laut artikulieren, statt still zu hoffen. Lässt uns kämpfen und für eine Welt eintreten, die frei ist von Angst und lässt uns das Aufscheinen dieser in den gemeinsamen Kämpfen erfahren.

Um es mit Barbara Sichtermann zu sagen:

Aggressivität, das ist es, was Frauen ‚aus dem Nichts‘ lernen, entwickeln, herzeigen müssen – als Gefühl, als Bewegung, als Tat. Wer Objekt nicht mehr sein will, entthront ein Subjekt, das sie zu etwas gemacht hat und setzt sich selbst als Subjekt: zunächst mal einer Veränderung des Status quo. Wer Objekt nicht mehr sein will, entzieht sich: der Behandlung, Degradierung, Manipulation, Definition, etc. eines anderen. Wer Objekt nicht mehr sein will setzt sich selbst in ein aktives Verhältnis zu Welt.