What the fuck is Manosphere? Interview mit Veronika Kracher

Ein Interview mit der Autorin und Journalistin Veronika Kracher

Veronika Kracher verbringt viel Zeit im Internet und schlägt sich dort mit belastenden Männern rum. Ihre klugen Analysen u. a. zu Antifeminismus, (digitalem) Frauenhass, Online-Radikalisierung und Rechtsextremismus veröffentlicht sie in Büchern und Artikeln. Wir freuen uns sehr, dass Vero Zeit für das Interview gefunden hat. Nicht nur, weil sie eine der Expert*innen zum Thema Manosphere im deutschsprachigen Raum ist, sondern auch, weil sie Feministin, Kommunistin und Genossin ist, die sich gegen jede Form von Antisemitismus positioniert.

asam Pick-Up-Artists, ‚Incels‘, Andrew Tate, Online-Foren und rechtsterroristische Attentate… Uns fallen viele Anknüpfungspunkte ein, die wir mit dem Begriff Manosphere verbinden. Liebe Vero, wie würdest du diese beschreiben?

Kracher Bei der Manosphere handelt es sich um lose digital vernetzte antifeministische Akteure, die in der Regel der ‚Red-Pill‘– oder ‚Black-Pill‘-Ideologie anhängen. Darunter fallen: Pick-Up-Artists, ‚Incels‘, Väter- und Männerrechtsaktivisten, ‚Men Going Their Own Way‘ und generell Sexisten, Antifeministen, Queer- und Frauenfeinde.

Was ist die Geschichte der Manosphere und wie hat sich diese herausgebildet?

Paradoxerweise ist die Geschichte der Manosphere in der stellenweise auch antipatriarchalen Männerbewegung der 1970er und 1980er zu verorten. Dort ging es viel um Vaterschaft, Zurichtung durch hegemoniale Männlichkeitsanforderungen, etc.. Aufgrund eines Mangels an radikaler Kritik an den Geschlechterverhältnissen und Männlichkeit selbst entwickelte sich diese Männerbewegung aber recht schnell zu einer selbstmitleidigen Nabelschau, aus der dann die These entwuchs, dass in Wahrheit (cishetero) Männer DIE WAHREN UNTERDRÜCKTEN UNSERER ZEIT seien (für einen genaueren Einblick in diese Entwicklung empfehle ich die Arbeiten von Kim Posster). Der Begriff selbst wurde 2009 von einem Porno-Vermarkter in dessen Buch „The Manosphere – A New Hope for Masculinity“ geprägt und recht schnell von sowohl antifeministischen Bloggern, als auch der Presse adaptiert. Ein maßgeblicher Punkt in der Radikalisierung der Manosphere war die misogyne Gamer-Gate-Kampagne von 2014, die sich gegen FLINTA in der Videospielbranche richtete. In den Angriffen gegen die Betroffenen fanden sich 4chan-Trolle, antifeministische Aktivisten, Neonazis und rechte Stimmungsmacher wie Steve Bannon zusammen – eine Melange, aus der später die Alt Right und damit eine globale faschistische Bewegung entstanden ist.

Was sind aktuell die treibenden Kräfte in der Manosphere? Was sind verbindende Elemente und wie unterscheiden sich die unterschiedlichen Akteure und Gruppen?

Die treibenden Kräfte und verbindenden Elemente sind Antifeminismus, Misogynie, gekränkte Männlichkeit, Queerfeindlichkeit und der Hass auf alles, was als woke und progressiv erachtet wird. Die Antifeministen der Manosphere gehen davon aus, dass der Mann durch die – immer jüdisch konnotierte – Moderne und den Feminismus verweichlicht und seiner Männlichkeit und auch seiner Vormachtstellung beraubt worden ist. Anhänger der ‚Red-Pill‘, wie ‚Men‘s Rights Activists‘, ‚Men Going Their Own Way‘ oder Pick-Up-Artists glauben, sie müssten durch neoliberale Selbstzurichtung und damit einhergehend systematische Abwehr des Nichtmännlichen versuchen, diesen Zustand zurück zu erlangen und zu einem dominanten ‚Alpha-Mann‘ zu werden, um so Frauen erobern zu können (s. Kap. Männlichkeit). Frauen sind in der Welt dieser gekränkten Männer allesamt oberflächlich, ‚hypergam‘ (also: begehren nur Männer, die ihnen einen Statusaufstieg garantieren können), und durch den Feminismus und die Moderne korrumpiert. Ein dominanter Mann jedoch könne sie wieder an ihren naturgegebenen Platz als traditionelle Hausfrau und Mutter zurück verweisen. ‚Incels‘ hingegen hängen der sog. ‚Black-Pill‘ an – sie glauben, dass vor allem unattraktive Männer systematisch unterdrückt seien. Sie glauben, ihnen sei aufgrund ihres Aussehens der Weg zum ‚Alpha-Mann‘ verwehrt. In ihren Augen begehren Frauen auch ausschließlich die attraktiven ‚Alphas‘ und ‚Chads‘, ‚Incels‘ können sie nur Verachtung entgegen bringen. Gleichzeitig verfechten sie, genau wie die Anhänger der ‚Red-Pill‘, ein vermeintliches Grundrecht auf Sex – und dass Frauen ihnen diesen verwehren, ist für sie Legitimation ihres bis im misogynen Terror endenden Frauenhass.

Welche Rolle spielen aus deiner Sicht Pick-Up-Artists und deren Communities innerhalb der Manosphere?

PUAs sind ein wichtiger Teil der Manosphere; sei es durch das Verbreiten misogyner Inhalte auf Social Media oder das Coaching junger Männer in ihren „Seminaren“. Diese sind nichts anderes als Betrugsmaschen, die das patriarchale Anspruchsdenken von Männern bedienen. Die PUA-Masche geht davon aus, dass sich Frauen mittels ‚neurolingualer Programmierung‘ zum Sex manipulieren lassen, ihre Techniken sind stark von systematischer Erniedrigung und Demütigung geprägt, Frauen dienen lediglich als Mittel zur Bestätigung der eigenen Männlichkeits-Performance (s. Kap. gewaltvolle Flirts).

Tatsächlich gab es Mitte der Nuller Jahre auf VH1 eine Pick-Up-Artist-Serie, in der die Techniken und Weltsicht dieser Vergewaltigungsapologeten für ein breites Publikum normalisiert worden sind. Heute nennen sie sich eher ‚Dating Coaches‘, ihre Ideologie ist aber nach wie vor omnipräsent und wird über Plattformen wie TikTok oder YouTube bereits Jugendlichen vermittelt, was sehr gefährlich ist.

Tessa Ganserer, Bundestagsabgeordnete für die Grünen, hat aufgrund des Hasses, den sie als trans Frau erleiden musste, nicht mehr für ihr Amt kandidiert. Das ist ein Beispiel für die Auswirkungen von kuratiertem Hass. Was sind die Gefahren für gesellschaftspolitische Entwicklungen, die von der Manosphere ausgehen?

Wie ihr gesagt habt: FLINTA werden von – stellenweise organisierten – Antifeminist*innen systematisch angegriffen, und als Resultat ziehen sie sich aus der Öffentlichkeit zurück. Diese Angriffe sind als Teil des generellen autoritären Backlash zu verstehen – und der richtet sich immer auch gegen feministische Errungenschaften wie körperliche und sexuelle Selbstbestimmung, die Sichtbarkeit von Frauen und Queers in einem öffentlichen und politischen Diskurs, und einer generellen Kritik am Geschlechterverhältnis. Denn: Die Konstitution von (cishetero) Männlichkeit basiert ja auf der systematischen Ausbeutung und Unterdrückung von Frauen und Queers. Und wenn wir uns emanzipieren, dann ist es um einiges schwieriger, sich über patriarchale Gewalt und Abwertung sowohl im politischen, als auch privaten Diskurs als cishetero Mann aufwerten zu können. Misogynie und Antifeminismus sind Ausdruck einer Angst um den Verlust der Vorherrschaft. Weil sie Angst haben, dass wir uns emanzipieren, greifen autoritäre Männer und ihre Steigbügelhalter immer wieder zur Gewalt. Die AfD appelliert in ihrer Wahlwerbung immer wieder an gekränkte Männlichkeit und hetzt gegen Feminismus und queere Sichtbarkeit – mit Erfolg. Transfeindlichkeit war ein ganz maßgeblicher Punkt im Wahlkampf von Donald Trump und ist es im rechten Kulturkampf generell – in den USA findet nichts geringeres als ein Krieg gegen die Existenz von trans Menschen statt! Und durch den politischen Erfolg von Männern wie Trump – der übrigens auch die wegen Menschenhandel und Vergewaltigung verurteilten Influencer Andrew und Tristan Tate, absolute Stars der Manosphere, trotz laufender Haftbefehle und Reiseverbot in die USA eingeflogen hat – fühlen sich dann auch andere Frauenfeinde in ihrer Ideologie bestätigt. Nach der Wahl von Trump gab es einen eklatanten Anstieg von misogyner und queerfeindlicher digitaler Gewalt. Der von dem Neonazi und ‚Incel‘ Nick Fuentes geprägte Slogan „Your body, my choice“ avancierte zu einem Meme und zu einer konkreten Bedrohung gegenüber FLINTA. Und bei digitaler Gewalt bleibt es ja nicht – sondern der Hass gegen körperliche und politische Selbstbestimmung wird durch antifeministische Politik auch institutionalisiert, zudem gibt es einen Anstieg von Hassverbrechen, die bis im Terrorakt enden können. Dass Neonazis gerade derart gegen CSDs und queere Räume mobil machen, ist ein erschreckendes Beispiel dafür, wie Stimmungsmache im Kulturkrieg sich dann in konkreten Bedrohungen manifestiert.

Einzelne Hate-Fluencer aus der Manosphere wirken mit ihrem Content shady bis plump, nichtsdestotrotz haben ihre Videos zum Teil eine extrem große Reichweite. Wie lässt sich der Erfolg erklären?

Sie versprechen ihren oft noch jungen Anhängern, ihnen beizubringen, wie sie Männlichkeit richtig performen und somit gegen eine vermeintliche feministische Bevormundung aufbegehren können. Sie verkaufen ihr chauvinistisches, herablassendes und generell unangenehmes Verhalten als „Rebellion“ und Zurschaustellung von Dominanz. Ein wichtiger Aspekt ist auch das Versprechen von finanziellem Erfolg, der ja integraler Bestandteil von hegemonialer Männlichkeit ist – dabei sind die meisten der angebotenen Kurse nichts anderes als Multi-Level-Marketing-Scams!

Gerade in der Adoleszenz befinden wir uns auf Identitätssuche und diese ist in der Regel auch an Geschlecht geknüpft: Wir erfahren von klein auf, dass das Anpassen an hegemoniale Geschlechtervorstellungen belohnt, die Abweichung hingegen sanktioniert wird. Dazu kommt ja auch, dass männlich gelesenen Kindern von klein auf vermittelt wird, dass soziale Interaktion über Konkurrenzdenken und Wettkampf funktioniert; gleichzeitig müssen sie weiblich konnotierte Anteile abspalten. Die Abwertung von Frauen, Mädchen und Queers dieser Influencer fällt also auf einen fruchtbaren Boden, da sie sagt: „Wir bringen dir bei, ein Mann zu werden, indem du andere nieder machst.“ Das Problem sind ja nicht nur die Influencer, sondern der patriarchal strukturierte Kapitalismus, welcher diese Inhalte überhaupt erst attraktiv für Jungen und Männer macht.

Wie geht es dir mit der täglichen Auseinandersetzung mit antifeminisistischen, misogynen und rechten Inhalten? Hast du Umgangsweisen, die du anderen Feminist*innen ans Herz legen kannst?

Es geht schon manchmal an die Nieren, sich täglich damit befassen zu müssen, wie omnipräsent geschlechtsspezifische Gewalt ist und dass Behörden dem entweder gleichgültig oder ohnmächtig gegenüber stehen. Bei der Recherche-Arbeit hilft es, sich konkrete Ziele zu setzen: „Ich recherchiere jetzt drei Stunden lang zu Thema X“. Wenn ihr Zuhause arbeitet: tragt andere Kleidung beim Arbeiten als sonst, arbeitet NIEMALS IM BETT, geht regelmäßig spazieren und unterhaltet euch mit solidarischen Freund*innen, um Abstand von der Recherche zu gewinnen. Achtet auf eure Grenzen. Aber was noch mehr hilft, ist intellektuelle Arbeit und politische Organisation! Reaktionäre AkteurInnen WOLLEN, dass wir uns vereinzelt, hoffnungslos und ohnmächtig fühlen – diese Befriedigung will ich ihnen nicht geben. Es gibt kein besseres Mittel gegen diese Gefühle, als sich mit Genoss*innen zu organisieren: sei es die Erfahrung, nicht alleine zu sein mit der eigenen Wut und Trauer, oder die Erfahrung, durch gemeinsame Arbeit der Grausamkeit der Verhältnisse unsere Solidarität entgegensetzen zu können.

Zum Abschluss würden wir gerne etwas über dein derzeitiges Buchprojekt erfahren. Um was soll es in diesem gehen?

Ich arbeite zum Thema misogyne Hasskampagnen als Mittel im rechten Kulturkampf. Prominente Beispiele sind die Gamer-Gate-Bewegung, die inzwischen quasi im Weißen Haus institutionalisiert ist, oder die Hasskampagne gegen Amber Heard. Diese war nicht nur eine beispiellose Demonstration von Misogynie, sondern auch ein Backlash bezüglich der MeToo-Bewegung und eine komplette Verzerrung der Debatte um häusliche Gewalt. Ich versuche der Frage nachzugehen, inwieweit rechte AkteurInnen mittels dieser Hasskampagnen misogyne Ressentiments nutzen, um Menschen nach rechts zu radikalisieren und welche Rolle soziale Medien dabei spielen. Es erscheint Anfang 2026 beim Verbrecher Verlag und trägt den Titel „Bitch Hunt. Über misogyne Hasskampagnen“.

Vielen Dank für Deine Zeit und die spannenden Einblicke, liebe Vero!