Gegen das Vergessen!

Ein Plädoyer gegen das Wegsehen, Verleugnen und die Verdrängung von rechtem und antifeministischem Terror anlässlich des 36. Jahrestags des rechtsterroristischen Anschlags der „Gruppe Ludwig“ auf den Club „Liverpool“ in München.  

Am 7. Januar 1984 werfen zwei Männer je einen Kanister Benzin in den Eingangsbereich der Diskothek „Liverpool“ in der Münchner Schillerstraße und setzen das Lokal in Brand. Acht Menschen werden verletzt. Corinna Tartarotti, eine Barangestellte, erliegt drei Monate später ihren schweren Verletzungen. Sie war 20 Jahre alt. 

Darum gedenken wir am 36. Jahrestag des Anschlags Corinna Tartarotti und den mindestens 14 weiteren Todesopfern, die dem mörderischen Terror der „Gruppe Ludwig“ zum Opfer fielen. Wir versammeln uns vor dem ehemaligen Club „Liverpool“ (heute „Broadway“) in der Schillerstraße, um uns solidarisch mit den vielen Verletzten und Hinterbliebenen sowie allen Betroffenen rechter, homofeindlicher und antifeministischer Gewalt zu zeigen. 

Erinnerung gemeinsam erkämpfen 

Verübt wurde der Anschlag auf das „Liverpool“ von Wolfgang Abel und Marco Furlan auch bekannt als „Gruppe Ludwig“, die mal mehr mal weniger gezielt Menschen ermordete, die nicht in ihr extrem rechtes und reaktionäres Weltbild passten: Sexarbeiter*innen, Homosexuelle, Drogenabhängige, vermeintlich vom richtigen Weg abgekommene Geistliche oder Besucher*innen von Clubs wie dem „Liverpool“ werden von ihnen auf grauenhafte, menschenverachtende Art und Weise ermordet. Zwischen 1977 und 1984 töten sie mindestens 15 Menschen in Italien und Deutschland. 

Der ehemalige Club „Liverpool“ heißt heute „Broadway“.

Nach dem Anschlag auf das „Liverpool“ ermittelt die Münchner Polizei in allzu bekannter Manier zunächst ausschließlich im so genannten „Zuhältermilieu“. Ein rechter Anschlag? Iwo. Und der Boulevard greift das Narrativ genüsslich auf: „Ein heißer Krieg um kalte Sexmark“ titelt die Münchner Abendzeitung. Erst als sich die Täter wenige Tage nach dem Vorfall bei der Mailänder Nachrichtenagentur Ansa zum Anschlag in München bekennt, wird klar, dass die Täter aus dem christlich-fundamentalistischen, extrem rechten Spektrum stammen. „Im Liverpool wird nicht mehr gefickt“ heißt es in Runenschrift im Bekennerschreiben; und „Eisen und Feuer sind die Strafe des Nazismus“. 

Im März 1984 werden Wolfgang Abel und Marco Furlan in Italien, bei einem erneuten Anschlagsversuch verhaftet und später zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Beide sind nach Presseinformationen mittlerweile wieder auf freiem Fuß. 

Ohne die Arbeit des Münchner Journalisten Robert Andreasch, der zum Anschlag auf das „Liverpool“ recherchierte und ihn als rechten Anschlag identifizierte, wäre der Fall mittlerweile vermutlich in Vergessenheit geraten. Heute sind es ausschließlich antifaschistische Gruppen, die den Terroranschlag bei Demonstrationen oder antifaschistischen Stadtspaziergängen thematisieren. Ansonsten erinnert in München nichts und niemand an die Opfer, in der Öffentlichkeit überwiegt die Auseinandersetzung mit den Tätern. Wir möchten das ändern und den Blick auf die Opfer richten, die zum Ziel (extrem) rechter Täter*innen werden. Dazu wollen wir aufzeigen, welche Ideologie zu Taten wie denen der „Gruppe Ludwig“ führen kann. Und wir möchten die unsägliche Kontinuität der Pathologisierung und Entpolitisierung rechten Terrors sichtbar machen.  

Für ein respektvolles Gedenken 

In einem Gespräch mit NSU-Watch, einer NGO die den NSU-Komplex kritisch begleitet, betont İbrahim Arslan, Überlebender des rassistischen Brandanschlags von Mölln 1992, dass für ein respektvolles Gedenken die Betroffenenperspektive in den Mittelpunkt gerückt werden muss (1). Diese Perspektive ist oftmals nicht bekannt, geschrieben und gesprochen wird über die Täter*innen. 

Auch bei der Aufarbeitung der Taten der „Gruppe Ludwig“ war und ist das der Fall. Ausgiebig sezieren Journalist*innen die Persönlichkeit und Biographien der beiden Terroristen. En detail wird beschrieben, in welchen „untadeligen“ familiären Verhältnissen die beiden aufwuchsen, wann und wo sie sich kennenlernten und wie der eine ein schmächtiger, talentierter Gitarrenspieler, der andere ein rationaler und sportiver Praktiker sei. 

Derweil ist über die Opfer oft nicht mehr bekannt als ihr Name beziehungsweise wo und wie sie ermordet wurden. Von Corinna Tartarotti weiß man, dass sie familiäre Wurzeln in Südtirol hat. Bekannt ist auch, dass rund 25 weitere Personen am Tag des Anschlags im „Liverpool“ waren, um sich einen Film anzusehen. Acht davon wurden bei dem Angriff verletzt. Wer sie sind, ihre Perspektive auf den Fall, was sie dazu zu sagen hätten … all das ist derzeit leider nicht bekannt. Alle Versuche, Angehörige oder Betroffene des Anschlags ausfindig zu machen, liefen bislang ins Leere. 

„Opfer und Überlebende sind die Hauptzeugen des Geschehenen, wir sind keine Statisten.“ sagt İbrahim Arslan. Darum gilt es, jenen zuhören, denen Leid angetan wurde und wird. Denn nur wenn die Konsequenzen rechter Anschläge sichtbar gemacht werden, können sie verringert werden, so Arslan. 

Schluss mit der Entpolitisierung und Pathologisierung rechter Taten und Täter*innen!

Neben der einseitigen Auseinandersetzung mit den vermeintlichen Motiven der Täter*innen und ihren Lebensläufen ist eine weitere Kontinuität rechten Terrors die Entpolitisierung der Taten und dass die Täter*innen durch Ermittlungsbehörden, Medien und Öffentlichkeit für psychisch krank erklärt werden. Blicken wir in die Münchner Stadtgeschichte können wir einige Beispiele hierfür ausmachen: 

  • Vor 40 Jahren, am 26. September 1980 reißt Gundolf Köhler bei einem Sprengstoffanschlag auf das Oktoberfest zwölf Menschen mit sich in den Tod. Köhler war Mitglied der neonazistischen Wehrsportgruppe Hoffmann und doch spricht die Bundesanwaltschaft vom Einzeltäter, der sich in einer persönlichen Krise befunden haben muss.  
  • Zwei der insgesamt zehn Morde des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) wurden hier in München verübt. Habil Kılıç und Theodoros Boulgarides wurden Opfer von Rechtsterror doch dauerte es mehr als zehn Jahre, bis zur Selbstenttarnung des NSU, dass der rechte Charakter der Morde auch bei den Behörden erkannt wurde. Sie ermittelten gegen die Angehörigen, statt ihnen zuzuhören, ihnen zu glauben und den Hinweisen auf Rechtsterrorismus nachzugehen.
  • Und dann der rechte Terror vom 22. Juli 2016 als David Sonboly neun Menschen im Münchner Olympia Einkaufszentrum und anschließend sich selbst erschoss. Er wählte die Opfer nach rassistischen Motiven aus, verehrte Hitler und die AfD. Bis heute tun sich die Behörden schwer, die extrem rechten Merkmale der Tat als solche anzuerkennen. (2) 

Auch in den Tagen nach dem Anschlag hier auf das Liverpool laufen die polizeilichen Ermittlungen zunächst nur in eine Richtung: ins Zuhältermilieu. Nach dem Bekennerschreiben der „Gruppe Ludwig“ wird allzubekannter Manier pathologisiert. Abel und Furlan hätten in einer „Adoleszenzkrise“ gesteckt, sie seien „todeswütige Exorzisten“ und „psychopatische Neonazis“. 

Das Nichterkennen, die Verharmlosung und Pathologisierung von rechtem Terror und den Täter*innen ist neben dem Terror selbst eine Gefahr. Verhindert es doch, dass diese Gewaltverbrechen richtig eingeordnet und aufgearbeitet werden können. Um rechten Terror jedoch wirksam zu bekämpfen, müssen solche Fälle aufgearbeitet werden.

Das Problem heißt Antifeminismus 

In unseren Analysen trennen wir rechten Terror nicht von antifeministischen Ideologien. Vielmehr sind Antifeminismus und die Befürwortung von Gewalt zwei von mehreren Bestandteilen eines (extrem) rechten Weltbildes und viele Fälle von rechter, rassistischer, antisemitischer und antilinker Gewalt haben eine Genderkomponente (3). 

Der rechte Attentäter von Halle, der seine Taten mittels einer am Helm befestigten Kamera aufnimmt, sagt gleich zu Beginn der Aufzeichnung, dass „der Feminismus“ Grund für sinkende Geburtenraten im Westen sei und diese wiederum zu vermeintlicher Massenmigration führen würden. Verantwortlich dafür seien Jüdinnen und Juden. Er ist nicht der erste rechte Attentäter der diese verschwörungstheoretischen Narrative miteinander verbindet und zum Mörder wurde. 

Eike Sanders und Judith Götz benennen das Problem: Männer und gewisse Ausformungen von Männlichkeit. (4) Denn zentrales verbindendes Element der Terroranschläge von Christchurch, El Paso und nun Halle ist, dass die Gewalt in einem Zusammenhang mit Geschlecht steht. Die Täter haben Verschwörungstheorien, bei denen Antisemitismus, Rassismus und Frauenhass Hand in Hand gehen. Die Gesellschaft werde einerseits von außen durch Migration bedroht, andererseits durch Feminismus von innen. Gegen diesen imaginierten Untergang müsse der Mann sich zur Wehr setzen. Diese Narrative sprechen in erster Linie Männer an, denen in unserer patriarchalen Gesellschaft die Rolle der Beschützer zugesprochen wird und die aus diesem nicht vorhandenen Bedrohungsszenario ein aktivierendes Moment ableiten. Und so wird männliche Gewalt zu tödlicher Gewalt.

Diesen extrem rechten, antifeministischen Ideologien liegt meist eine (selbst)zerstörerische Vorstellung von Männlichkeit zugrunde, bei der alles vermeintlich Schwache verachtet und weiblich Konnotiertes abgelehnt wird. Über Marco Furlan und Wolfgang Abel ist bekannt, dass sie sich an den Wochenenden mit langen Märschen in der Natur abhärteten und so ihre männerbündlerische Kameradschaft formten. Im Kern dieser idealisierten Männlichkeit steht die Bereitschaft und Fähigkeit zur Gewaltausübung. 

Seit seiner Entstehung gründet sich Antifeminismus auf eine tiefe Verunsicherung ob der bedrohten Ordnung. Der Begriff taucht 1902, also im Kaiserreich, das erste Mal auf. In ihrem Buch „Die Antifeministen“ analysiert die Autorin Hedwig Dohm die Gründe für die Gegner*innenschaft zur Frauenbewegung und stellt schon damals fest, dass Antifeminismus der Versuch war, Aufbrüche und Veränderungen im Geschlechterverhältnis rückgängig zu machen (5). Gewalt wird von Antifeminist*innen legitimiert, indem sie einen Abwehrkampf heraufbeschwören, einen Kampf gegen eine sündhafte, wertelose, dekadente oder auch verweiblichte Gesellschaft. Verantwortlich dafür machen sie Frauen, LGBTIQ*, Homosexuelle, Obdachlose oder Drogenabhängige und legitimieren so ihre oftmals todbringende Gewalt gegen diese Gruppen. 

Für ein Ende der rechten, antifeministischen Gewalt  

Nur wenn wir verstehen welche Ideologien hinter Taten wie der aus Halle, Christchurch, El Paso, oder hier im ehemaligen Club „Liverpool“ stehen, können wir sie wirksam bekämpfen. Und nur wenn wir alle dieser Anschläge lückenlos aufklären und aufarbeiten ist ein Ende rechter Gewalt möglich. Verdrängung, Verleugnung und Wegsehen sind keine Lösung. 

Darum fordern wir:

 

  • Ein respektvolles Gedenken aus Opferperspektive und Solidarität mit allen von Rassismus, Antifeminismus und Antisemitismus betroffenen Menschen, 
  • die lückenlose Aufklärung und Aufarbeitung aktueller und vergangener rechter Terroranschläge,
  • ein Ende der Pathologisierung und Entpolitisierung rechter Gewalt und 
  • einen bundesweiten Gedenktag für die Opfer rechter Gewalt. 

Wir gedenken

 

  • Guerrino Spinelli, einem 33-jährigen Sinto, der am 25. August 1977 in Verona in seinem Auto schlafend mit Molotov-Cocktails angegriffen wurde und eine Woche später seinen schweren Verletzungen erlag.
  • Luciano Stefanato, einem homosexuellen Kellner, der am 19. Dezember 1978 in Padua mit Messerstichen getötet wurde. 
  • Claudio Costa, einem 22-jährigen Homosexuellen, der am 12. Dezember 1979 erstochen in Venedig aufgefunden wurde. 
  • der 51-jährigen Sexarbeiterin Alice Maria Beretta, die am 20. Dezember 1980 erschlagen wurde. 
  • dem Studenten Luca Martinotti, der am 24. Mai 1981 einem Brandanschlag in Verona zum Opfer fiel. 
  • der beiden Mönche Mario Lovato und Giovanni Pigato, die am 20. Juli 1982 in Vicenza erschlagen wurden. Mario Lovato wurde 71, Giovanni Pigato 69 Jahre alt. 
  • dem 71-jährigen Priester Armando Bison, der am 20. Februar 1983 in Trient erschlagen wurde. 
  • Giorgio Fronza, Ernesto Mauri, Pasquale Esposito, Elio Molteni und Domenico La Sala, die am 14. Mai 1983 bei einem Brandanschlag auf das Kino „Eros“ in Mailand ums Leben kamen und 
  • dem 46-jährigen Arzt Livio Ceresoli, der den im Kino eingeschlossenen Menschen zur Hilfe kommen wollte und selbst zum Opfer wurde. 
  • Und wir gedenken Corinna Tartarotti, die hier im ehemaligen Club Liverpool so schwere Verletzungen erlitt, dass sie drei Monate später, am 27. April 1984, hier in München starb. Sie wurde 20 Jahre alt.

  1. Podcast von NSU-Watch.
  2. Ausführlich dazu Caro Keller von NSU Watch beim CCC 2019.
  3. AK FE.IN (2019): Frauen*rechte und Frauen*hass. Antifeminismus und die Ethnisierung von Gewalt. Berlin: Verbrecher Verlag
  4. Sanders, Eike und Götz, Judith (2019): „Rechter Terror: Sind Männer das Problem?“ In: ze.tt. Online https://ze.tt/rechter-terror-sind-maenner-das-problem/ (zuletzt abgerufen: 31.12.2019, 13:20 Uhr) 
  5. Rebekka Blum (2019): Angst um die Vormachtstellung. Zum Begriff und zur Geschichte des deutschen Antifeminismus. Hamburg: Marta Press 
Linkliste mit weiterführenden Informationen:

 

Erwähnungen der Gruppe Ludwig in Chroniken: