Pick-Up-Artists – gefährliche Spitze eines gesamtgesellschaftlichen Problems

Sind wir nicht alle ein bisschen Pick-Up-Artist? – NEIN zum Glück nicht! Aber… immer wieder kam es im Anschluss unserer Vorträge und Zine-Lesungen im Kontext Pick-Up-Artists zur Frage, ob Pick-Up nicht auch gute Seiten hat. Zu Gesprächen darüber, dass Personen selbst Pick-Up-Methoden anwenden bzw. Seminare besuchten. Und der ewigen Frage: Aber darf man denn dann gar nicht mehr flirten?

Aber darf man denn dann gar nicht mehr Flirten? Doch, aber respektvoll. Mit dem Ziel gemeinsam eine gute Zeit zu haben. Mit ehrlichem Interesse an den Wünschen, Befürchtungen und Bedürfnissen des Gegenübers. Und nicht mit dem Ziel, nur die eigene Bedürfnissen zu befriedigen oder sich mit anderen zu profilieren. Aus diesen Eindrücken leitet sich die Frage ab: Wie normalisiert ist das ‚Up-Picken‘ in unserer Gesellschaft eigentlich?

Ein kurzer Blick in die Popkultur zeigt schnell: Ob 1987 in „The Pickup Artist“ (dt. „Jack der Aufreißer“), in der Serie „How I met your Mother“, im Film „Hitch – Der Date Doktor“, in fast allen Adriano-Celentano-Filmen und nicht zuletzt in der Münchener Kultserie „Monaco Franze“ – es sind Aufreißertypen, die als Haupt- und Nebendarsteller das Verführen von Frauen als natürlichste Sache der Welt darstellen und für Einschaltquoten sorgen. Aufreißen sells sozusagen. Aber nicht nur über den Bildschirm flackern nichtkonsensuale Flirttechniken. Von Konsens kann keine Rede sein, wenn man aus einem 100-jährigen Schlaf einfach so wach geküsst wird. Und auch die sonstigen Märchenprinzen sind nicht unbedingt für ihr Interesse an den Bedürfnissen und Wünschen ihres Gegenübers bekannt. Der Punkt ist klar: sexistische und patriarchale Erzählungen umgeben uns alltäglich und prägen das Aufwachsen.

Pick-Up-Artists sind leider nur die Spitze des Scheißbergs

Die Pick-Up-Artist-Szene findet nicht im luftleeren Raum statt. Neben der Einbettung in die Manosphere (s. Kap. Interview) und Verbindungen in rechtsextreme Strukturen (s. Kap. Ideologie) stabilisiert und ermöglicht der sexistische und patriarchale Normalzustand in der Gesamtgesellschaft erst ihre Existenz. Wie das geschieht und warum es wichtig ist, PUAs klar von der Gesamtgesellschaft abzugrenzen und diese gleichzeitig in die Verantwortung zu nehmen, versuchen wir im Folgenden nachzuzeichnen.

Das Patriarchat ist real. Die strukturelle Benachteiligung von FLINTA in unserer Gesellschaft ist wissenschaftlich vielfach belegt. Die Normalisierung von „Aufreißertechniken“ und die Objektifizierung von Frauen ist nur ein kleiner Teil davon. Pick-Up-Artists bewegen sich an der extremen Spitze des Problems, aber auch ohne sie haben wir immer noch viel zu tun auf dem Weg zu einer feministischen Gesellschaft, in der wir respektvoll flirten und Sexualität leben, die allen Beteiligten Spaß macht. Wenn wir uns einen Eisberg vorstellen, an dessen Spitze man die PUA-Szene setzt, mitsamt der extremen Rechten und den verschiedenen Akteuren der Manosphere, dann kann diese Spitze nur existieren, weil sie getragen wird von halb unter der Wasseroberfläche liegenden, männlich geprägten Strukturen und Organisationen, rechtspopulistischer sowie sexistischer Medienberichterstattung. Der mit Abstand größte Teil des Eisbergs ist ganz unter der Wasseroberfläche verschwunden und dadurch schwer erkennbar. Diesen Teil bilden die patriarchalen Strukturen und Denkmuster, Vorurteile gegenüber Frauen und Queers, sexistische Mikroagressionen, die zunächst unsichtbar erscheinen, jedoch das Fundament bilden, auf dem die PUA-Szene aufbauen kann. Sowohl die weit verbreiteten Ungleichwertigkeitsvorstellungen zu Geschlechtern als auch die heteronormativen Vorstellungen zu Familie und Sexualität sind grundlegende Erzählungen im gesamtgesellschaftlichen Diskurs. Besonders deutlich zeigt sich dies in den Ergebnissen der Leipziger Autoritarismus-Studie 2024, ein Projekt zur Einstellungsforschung, das versucht, den Menschen in den Kopf zu schauen. Demnach weist ein Viertel der Deutschen geschlossen antifeministische und sexistische Einstellungen auf, darüber hinaus haben weitere 40% zumindest einzelnen sexistischen Aussagen zugestimmt (1). An diesen Teil des Eisberges, der gesellschaftlich oft als unhinterfragte Norm unsichtbar bleibt, können PUAs mit ihrer sexistischen Ideologie und ihren Aufreißer-Methoden anschließen und sich so überhaupt erst in der Gesellschaft etablieren. Deswegen geht es nicht nur darum, PUAs zu kritisieren, sondern es gilt den sexistischen und patriarchalen Normalzustand zu beenden, um der Szene, aber auch der Rechten und der Manosphere den gesellschaftliche Rückhalt abzugraben.

Das ist keine einfache Aufgabe, denn der Zugriff auf den weiblichen Körper und die Unterdrückung von FLINTA-Personen sind historisch gewachsene Ungleichwertigkeitsstrukturen, die nur schwer aus dem gesamtgesellschaftlichen Diskurs heraus zu kriegen sind.

Keine*r hat ein Anrecht auf Sex

Wir erinnern daran, wie kurz es erst her ist, dass die Ehe auch sexuelle Verfügbarkeit bedeutet hat und bayerische Ministerpräsidenten gegen die strafrechtliche Verfolgung von Vergewaltigung in der Ehe gestimmt haben. Die absurde Idee, Männer würden Sex brauchen und daher stehe er ihnen zu, existiert bis heute fort. Bis heute gilt es als normal, Frauen aufzureißen und damit zu prahlen, sich ungeniert darüber auszutauschen wie hot eine ist und mit Skalen von null bis zehn das Aussehen von Frauen zu bewerten (s. Kap. Rolle d. Frau). Ganz zu schweigen davon, dass FLINTAs täglich von Gewalt aufgrund ihres Geschlechts oder ihrer Sexualität betroffen sind und in Deutschland fast jeden Tag ein Femizid geschieht, also eine Frau aufgrund ihres Geschlechts ermordet wird. Das Patriarchat und die kapitalistische Leistungsgesellschaft macht auch nicht vor den Schlafzimmern halt. Bis heute steht Sex in weiten Teilen der Bevölkerung fast synonym mit Penetrationssex. Wir können allen, die so denken, verraten, ihr verpasst was. Was macht es mit einer Gesellschaft, in der sich hartnäckig ein Bild von Sexualität hält, in der es ein Muss ist, den Penis möglicht schnell in der Vagina zu versenken und dann am besten multiple Orgasmen zu haben? Das hat oft wenig bis gar nichts mit weiblicher Lust zu tun. Wir müssen nicht nur über den Gender Pay Gap sprechen, sondern auch über den Orgasm Gap. Denn was bedeutet das alles für queere und weibliche Sexualität? Oder für alle, die am Beginn ihres Sexuallebens stehen? Was für diejenigen, die nicht durch vaginale Stimulation erregt werden? Und wozu führt die Negation von queeren Sexualitäten oder das unter Druck setzen von allen, die nicht bei ‚Rein Raus‘ kommen?

Leistungsdruck und die Angewiesenheit auf das männliche Genital hat bisher nur in feministischen Diskursen zu Sexualität ausgedient. Wir können uns feministische Räume schaffen, in denen wir Sexualität anders leben wollen. Aber was wir langfristig brauchen, ist eine ganze Welt, in der ein respektvoller Umgang miteinander und die Anerkennung von Unterschieden in sexuellen, erotischen Wünschen, Bedürfnissen und Erwartungen normal geworden ist. Wir brauchen mehr emanzipatorische, sexuelle Bildung und Aufklärung in der sog. Mitte der Gesellschaft. Damit alle den Sex haben können, den sie wollen. Ohne Leistungsdruck, Gewalt und vorgegebene Skripte. Dazu braucht es Solidarität, einen respektvollen Umgang miteinander und eine klare Kritik an der patriarchalen und kapitalistischen Gesellschaft, sowie eine Auseinandersetzung mit eigenen Vorurteilsstrukturen und Denkmustern. Dann klappt es vielleicht auch mit dem Ende des Patriarchats und dem Ende von Pick-Up-Artists.

PUAs treiben es auf die Spitze

Es braucht im Zusammenhang von PUAs und der Gesamtgesellschaft eine klare Abgrenzung und das gleichzeitige Erkennen von Verwobenheiten. Ist das ein Wiederspruch? NEIN. Denn PUAs nutzen gesellschaftlich akzeptierte Problemlagen, Diskurse und Methoden, um ihre Szene zu etablieren und zu verharmlosen und so Männer in ihre Szene einzuladen. Gleichzeitig kommen sie mit gesamtgesellschaftlich akzeptierten Bildern und Methoden an und treiben es auf die Spitze des patriarchalen und kapitalistischen (Sch)Eisbergs. Die beiden Kontraste gilt es aufzuzeigen und zu problematisieren. Es gibt keine harmlosen Pick-Up-Strategien oder Verführungsspielchen. Aufreissermethoden, die helfen weiblich gelesene Personen gegen ihren Willen ‚rum zu kiegen‘, verfestigen in allen Formen und Ausprägungen immer Sexismus und patriarchale Gewalt. 

Gegen All das gilt es laut zu werden und sich zur Wehr zu setzen, denn: Whatever we wear, wherever we go, yes means yes and no means no!

(1) Kalkstein/Pickel 2024, 161-180