25 Jahre Paragraf 218 StGB – Wir feiern nicht!
Der Paragraf 218 StGB regelt in Deutschland die Voraussetzungen für eine Abtreibung und kriminalisiert diese seit insgesamt 149 Jahren in unterschiedlichsten Formen, von Gefängnis in der Weimarer Republik bis hin zur Todesstrafe während der NS-Zeit. Seit 1975 werden Abtreibungen, nach jahrelangen Kämpfen der Frauenbewegungen strafrechtlich nicht mehr verfolgt, wenn sich die ungewollt schwangere Person einer Pflichtberatung unterzieht und wenn bestimmte Umstände gegeben sind, die eine Abtreibung aus Sicht des Staates rechtfertigen. Nach wie vor kriminalisiert der Paragraf 218 Menschen, die sich für einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden und ermöglicht dem Staat, reproduktionsfähige Körper zu kontrollieren, indem er ihnen die eigene Entscheidungsfähigkeit aberkennt. Um straffrei abtreiben zu können, müssen ungewollt schwangere Menschen zur Pflichtberatung, Wartefristen einhalten und über eine Menge Stöckchen springen, die ein Schwangerschaftsabbruch noch so mit sich bringt.
Mühsam Erkämpftes ist fragil und angreifbar
Dieser fadenscheinigen „Legalisierung“ von Abtreibungen, die diese de facto kriminalisiert, stellen sich immer wieder konservative Kräfte in den Parlamenten, christlich-fundamentalistische Abtreibungsgegner*innen bis zu neonazistischen Gruppierungen entgegen und machen damit deutlich, wie fragil und angreifbar bereits erkämpfte Rechte sein können. Dabei ist die Situation nach wie vor für viele ungewollt Schwangere sehr problematisch und wahnsinnig kräftezehrend. Da Abtreibungen nicht zur medizinischen Grundversorgung zählen, sind sie auch kein regulärer Teil Ärztlicher Lehrpläne. Ärzt*innen müssen sich also explizit dafür entscheiden, Schwangerschaftsabbrüche anzubieten. Die gesellschaftliche Stigmatisierung und Tabuisierung, juristische Fallstricke und starke Anfeindungen und Bedrohungen durch Abtreibungsgegner:innen macht diese Entscheidung jedoch nicht leichter.
Zahllose Hürden und Hindernisse
So kommt es, dass es in Deutschland viel zu wenige Praxen und Kliniken gibt, die überhaupt Abtreibungen durchführen und schließlich ist die Informationslage darüber, wer wo welche Methoden durchführt und welche Methoden es überhaupt gibt, sehr unvollständig bis verwirrend und irreführend. Der Grund dafür sind die Einschränkungen, die der Paragraf 219a StGB mit sich bringt. So dürfen Ärzt*innen beispielsweise nicht über Schwangerschaftsabbrüche informieren. Das Perfide: Gleichzeitig können Abtreibungsgegner*innen ungehindert ihre Propaganda verbreiten.
Auch der finanzielle Aspekt spielt eine Rolle, da die Kosten nur bei geringem Einkommen übernommen werden und der bürokratische Aufwand hierfür sehr hoch ist. All diese Hürden und Hindernisse haben sich durch Corona verschärft, da zeitweise noch weniger Abtreibungen durchgeführt werden konnten und die Beratungspflicht die Einhaltung der Fristen zusätzlich erschwerte. Die miserable Versorgungslage vor allem in ländlichen Regionen zwingt ungewollt schwangere Personen teils lange Wege auf sich zu nehmen, was ein erhöhtes Infektionsrisiko, höhere Reisekosten, einen größeren Zeitaufwand bedeutet und aufgrund von Reisebeschränkungen und geschlossenen Grenzen zeitweise gar nicht mehr möglich war.
Fundis von der Straße fegen!
Um dieser ganzen Scheiße die Krone aufzusetzen, haben die Fundis von „Euro Pro Life“ am 3. Oktober 2020 ihren „1000-Kreuze-Marsch“ geplant, bei dem sie betend und mit weißen Holzkreuzen ausgerüstet durch die Münchner Innenstadt ziehen. Dabei fordern sie ein generelles Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen und verbreiten ihr christlich-fundamentalistisches Weltbild, das von einer reaktionären Vorstellung von Geschlecht, Sexualität und Familienleben geprägt ist: Queere Identitäten werden abgelehnt, Homosexualität und alle Formen des Begehrens abseits der heterosexuellen Zweierbeziehung verachtet. Sex soll vor allem der Fortpflanzung dienen und in der Ehe stattfinden. Darauf haben wir keinen Bock!
Beteiligt euch an unseren Gegenprotesten am 3. Oktober! Bitte achtet dabei auf das Tragen des Mund-Nasen-Schutzes (wenn möglich) sowie auf die Abstandsregelungen! Die Auftaktkundgebung startet um 13 Uhr an der Reiterstatue am Odeonsplatz in München.
Wir fordern:
- My Body My Choice: Recht auf körperliche Selbstbestimmung und reproduktive Rechte
- die sofortige Streichung der Paragraphen 218 und 219a StGB. Die Kriminalisierung von Schwangeren und Ärzt*innen muss endlich aufhören
- mehr Kliniken und Praxen, in denen ein Abbruch vorgenommen werden kann
- die volle Kostenübernahme von Schwangerschaftsabbrüchen durch die Krankenkassen.
- dass Schwangerschaftsabbrüche verpflichtender Teil der medizinischen Ausbildung werden und dass Ärzt*innen Abbrüche nicht mehr ohne die Angabe von Gründen verweigern können
- den kostenlosen Zugang zu Verhütungsmitteln
Hätt‘ Maria abgetrieben, wärt ihr uns erspart geblieben – Fundis von der Straße fegen!