Wir dokumentieren hier unseren Redebeitrag, den wir beim Gedenken an Corinna Tartarotti am 7. Januar 2025 gehalten haben.
Wir sind hier heute zusammen gekommen, um an Corinna Tartarotti zu erinnern. Vor 41 Jahren erlitt sie bei einem rechtsterroristischen Brandanschlag hier in der Schillerstraße im ehemaligen Club Liverpool derart schwere Verletzungen, dass sie diesen drei Monate später erlag: am 27. April 1984, sie wurde nur 20 Jahre alt. Der von der neofaschistischen „Gruppe Ludwig“ verübte Anschlag reiht sich ein in eine Mord- und Anschlagsserie, die insgesamt 15 Menschen vor allem in Norditalien das Leben kostete. Wir möchten heute ihnen allen gedenken und beginnen unseren Redebeitrag deshalb mit dem Verlesen der uns bekannten Namen:
Wir gedenken Luciano Stefanato, einem homosexuellen Kellner, der am 19. Dezember 1978 in Padua mit Messerstichen getötet wurde.
Wir gedenken Claudio Costa, einem 22-jährigen Homosexuellen, der am 12. Dezember 1979 erstochen in Venedig aufgefunden wurde.
Wir gedenken der 51-jährigen Sexarbeiterin Alice Maria Beretta, die am 20. Dezember 1980 in Vicenza erschlagen wurde.
Wir gedenken dem Studenten Luca Martinotti, der am 24. Mai 1981 einem Brandanschlag in Verona zum Opfer fiel.
Wir gedenken der beiden Mönche Mario Lovato und Giovanni Pigato, die am 20. Juli 1982 in Vicenza erschlagen wurden. Mario Lovato wurde 71, Giovanni Pigato 69 Jahre alt.
Wir gedenken dem 71-jährigen Priester Armando Bison, der am 20. Februar 1983 in Trient erschlagen wurde.
Wir gedenken Giorgio Fronza, Ernesto Mauri, Pasquale Esposito, Elio Molteni und Domenico La Sala, die am 14. Mai 1983 bei einem Brandanschlag auf das Kino „Eros“ in Mailand ums Leben kamen und dem 46-jährigen Livio Ceresoli, der den im Kino eingeschlossenen Menschen zur Hilfe kommen wollte und selbst zum Opfer wurde.
Wir sind heute hier, um uns an sie alle zu erinnern.
Der rechtsterroristische Brandanschlag, der Corinna das Leben kostete, viele weitere verletzte und traumatisierte, liegt 41 Jahre zurück. Ein Erinnern an Corinna und das Thematisieren der neofaschistischen Ideologie, die der Tat zugrunde liegt, geschieht erst seit wenigen Jahren. Jahrzehnte lang ist die Tat in der Stadt München in Vergessenheit geraten. Bei der Aufzählung rechtsterroristischer Morde und Anschläge wurde Corinnas Name und die der anderen Opfer der menschenverachtenden „Gruppe Ludwig“ nicht genannt. Wir freuen uns, dass es seit heute eine Gedenktafel am Tatort gibt, die an die Tat und die Ermordete, die Verletzten, die Traumatisierten und die Überlebenden erinnert.
Warum erachten wir es als Feminist*innen und Antifaschist*innen auch nach 41 Jahren als unabdingbar, sich für ein Erinnern einzusetzen? An wen erinnert wird – und an wen nicht, welches Leben als betrauerbar gilt – und welches nicht, ist Ausdruck gesellschaftlicher Machtverhältnisse. Ausdruck der neofaschistischen Ideologie der Täter, in deren Weltbild Menschen einen unterschiedlichen Wert haben und manche den vermeintlich reinen Volkskörper, den es zu bewahren gilt, stören. Ihnen wird in die Karten gespielt, wenn an Menschen nicht erinnert wird und sie in Vergessenheit geraten.
In die Opferauswahl der „Gruppe Ludwig“ fielen u.a. Wohnungslose, Homosexuelle, Drogensüchtige sowie Rom*nja und Sinti*zze. Die Abwertung dieser Personengruppen zählt nicht zur vermeintlich gut aufgearbeiteten Geschichte Münchens und Deutschlands, sondern hat Kontinuität und ist virulent. Langzeitarbeitslose, Obdachlose und Sinti*zze und Rom*nja sind diejenigen gesellschaftlichen Gruppen, die laut der Anfang 2024 veröffentlichten, repräsentativen Studie „München Monitor“, die stärkste Ablehnung aus der Münchner Mehrheitsgesellschaft heraus erfahren. Betroffene erfahren auch heute nach wie vor große Ablehnung und Diskriminierung, auch hier in München. Es ist unsere Aufgabe sich hier solidarisch zu zeigen, zu intervenieren und abwertende Äußerungen nicht unkommentiert zu lassen.
Auch nach 41 Jahren wollen und müssen wir an Corinna erinnern, weil ihr Tod ein Teil Münchner Geschichte ist. Diese Geschichte ist nicht losgelöst, sondern reiht sich ein in eine Kontinuität rechten Terrors hier in der Stadt: das Oktoberfestattentat 1980, zwei Morde des sog. Nationalsozialistischen Untergrunds: 2001 an Habil Kılıç und 2005 an Theodoros Boulgarides, das antisemitische Olympia-Attentat 1972, bei dem 12 Menschen ermordet wurden oder der rechtsterroristische Anschlag am OEZ 2016, bei dem neun, vor allem junge Menschen, aus rassistischen Gründen ermordet wurden. Diese Aufzählung ist nicht abschließend. Darüber hinaus gibt es viele Fälle, die nicht als rechtsterroristische Taten anerkannt und damit weiterhin in Vergessenheit sind, fernab von einem öffentlichen Bewusstsein bleiben.
Auch nach 41 Jahren sind die Hintergründe und die Beteiligten des Brandanschlags auf das ehemalige Liverpool, an den wir heute hier erinnern, nicht lückenlos aufgeklärt. Die italienischen Behörden haben ihre Ermittlungen bzgl. des Brandanschlags in Mailand wieder aufgenommen, da es neue Beweise geben soll, die darauf hinweisen, dass die Gruppe Ludwig doch aus mehr als 2 Personen bestanden hat. Die bayerischen Behörden sind wohl auch noch / oder wieder seit Jahren erfolglos am Ermitteln, weil die Akten nicht herausgegeben werden. Auch nach 41 Jahren werden somit der wissenschaftlichen Recherche und dem Journalismus Erkenntnisse vorenthalten. Die Hoffnung auf bahnbrechende, neue Erkenntnisse steigt nach 41 Jahren nicht. Die Tatsache, dass einer der Täter des Brandanschlags letztes Jahr im Oktober verstorben ist, führt auch nicht dazu, dass von weiteren Erkenntnissen ausgegangen werden kann.
Erinnern ist und bleibt ein zu gestaltender Prozess. Wir sehen, wie sich seit geraumer Zeit verstärkt bundesweit Angehörige, Überlebende und solidarische Personen und Initiativen verschiedener rechtsterroristischer Taten für ein Erinnern und gegen ein Vergessen einsetzen, sich vernetzen und gegenseitig stärken. Mit ihrer enorm wichtigen Arbeit erschweren sie, dass Narrative von sog. „tragischen Einzelfällen“, von vermeintlich „psychisch verwirrten Tätern“, die ohne jegliches Netzwerk und Struktur agieren würden, weiterhin reproduziert und normalisiert werden können. Die gemeinsame Arbeit zeigt eins auf: rechter Terror hat Kontinuität und es ist unsere Aufgabe uns mit den in der Gesamtgesellschaft hierfür vorhandenen Gründen auseinander zu setzten. Es ist unsere Aufgabe von Rassismus, Queerfeindlichkeit, Antisemitismus, Sozialdarwinismus, Misogynie und weiteren menschenverachtenden Phänomenen betroffenen Menschen zu zuhören, sie Ernst zu nehmen und bei Diskriminierungen einzuschreiten, bevor es zu einer Zuspitzung von Gewalt kommt.
Es macht Hoffnung, dass Angehörige, Überlebende und solidarische Personen die Kraft finden, sich für ein Erinnern und gegen das Vergessen einzusetzen.
Es macht Hoffnung, dass es solidarische Journalist*innen wie Robert Andreasch, Lina Dahm und Monica Zornetta, kritische Wissenschaftler*innen wie Eike Sanders und Thomas Porena und antifaschistische Initiativen, wie NSU Watch gibt, die unzählige Stunden dafür aufbringen, zu recherchieren, zu analysieren und verschriftlichen, damit Namen wie der von Corinna Tartarotti und Anderen nicht in Vergessenheit geraten.
Es macht Hoffnung, dass es Menschen gibt, für die Erinnern mehr bedeutet wie ein Pflichttermin im Kalender einmal im Jahr. Für die es bedeutet sich tagtäglich mit belastenden Themen, wie rechter Ideologien, auseinander zu setzen und diese zu bekämpfen.